Mahnung vor Journalistenkongress: Regionalpresse im Nordosten am seidenen Faden


Die Bedeutung der Regionalzeitungen haben die Redner bei der Eröffnung des Forums Lokaljournalismus unterstrichen. Mit einer Aktion vor dem im Schweriner Staatstheater tagenden Kongress machte die Initiative „Qualität und Vielfalt sichern.“ auf die schwierige Situation der Presse in Mecklenburg-Vorpommern aufmerksam und fand schließlich selbst bei Bundeskanzlerin Gehör.

Ernst Heilmann und Ingo Schlüter mit Ministerpräsident Erwin Sellering.

Anfangs kritisch beäugt von den Sicherheitskräften warnten Vertreter der Initiative unter dem Motto „Die Zeitungen hängen am seidenen Faden“ vor den Gefahren von Personalabbau, Tarifflucht, Auslagerung und Kooperation für Qualität und Vielfalt der Presse. Auf seinem Weg zu der von der Bundeszentrale für politische Bildung ausgerichteten Tagung „Zeitung macht Zukunft. Print x Online = Qualität2“ machte Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) bei ihnen Station.

Ernst Heilmann vom ver.di-Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern unterstrich die Dramatik der Lage: „Wenn die Zusammenlegung der Mantelredaktionen von Nordkurier und Schweriner Volkszeitung Realität werden sollte, gibt es in Mecklenburg-Vorpommern keine wirklich eigenständige Tageszeitung mit einer Vollredaktion mehr!“ Sellering sagte zu, die Probleme in seinem Grußwort zum Kongress thematisieren zu wollen.

Der Ministerpräsident hielt Wort: „Die große Stärke der lokalen und regionalen Tageszeitungen ist die Verankerung vor Ort“, sagte Sellering. Diese Stärke gelte es auch angesichts der aktuellen Konzentrationen auf dem Zeitungsmarkt unbedingt zu erhalten. „Bei allem Verständnis dafür, dass eine Zeitung wirtschaftlich arbeiten muss: Synergien dürfen nicht auf Kosten der Nähe zum Geschehen gehen, Vielfalt und Qualität müssen gesichert bleiben.“

Eiligen Schrittes zu mahnenden Worten: Bundeskanzlerin Merkel auf dem Weg ins Staatstheater.

Die kurz vor ihrer geplanten Rede erst eintreffende Bundeskanzlerin Angela Merkel eilte zunächst an der Gruppe vor dem Staatstheater vorbei. In ihrer Rede „2009 - Superwahljahr. Meinung wird im Lokalen gemacht“ erklärte sie, dass Lokalzeitungen unverzichtbar für die demokratische Meinungsbildung seien. Von ihnen erwarteten die Menschen Orientierung. Merkel äußerte sich besorgt über Tendenzen der Verflachung in den Blättern. Geschwindigkeit dürfe gerade online nicht zu Lasten der Sorgfalt gehen, mahnte die Bundeskanzlerin  vor 150 Chefredakteure, Verleger, Herausgeber und Medienexperten aus dem In- und Ausland.

Nachdem zuvor auch der Chefredakteur der gastgebenden Schweriner Volkszeitung, Thomas Schunck, „Schnittmengen“ mit den vor dem Haus Protestierenden entdeckt hatte, konnte Ingo Schlüter, Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, gemeinsam mit ver.di und Deutschen Journalisten-Verband Träger der Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern.“, den Brief an Angela Merkel übergeben.

Frau
Dr. Angela Merkel
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin

Schwerin, 21.01.2009


Die Sicherung von Qualität und Vielfalt der Presse
in Mecklenburg-Vorpommern braucht Ihre Unterstützung!

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

wir, die Partner der Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern.“ wenden uns heute an Sie als Bundeskanzlerin und als Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Stralsund/Rügen/Nordvorpommern, um Sie auf die dramatische Situation der Presse in unserem Bundesland aufmerksam zu machen. Die Tageszeitungen hängen am seidenen Faden! In den vergangenen Monaten hat in den Verlagen ein beispielloser Umbruch stattgefunden, der die Funktion der Tageszeitungen in ihrem Kern berührt.

Personalabbau, Kooperation, ja Zusammenlegung bei Nordkurier, Schweriner Volkszeitung und Ostsee-Zeitung führen nicht allein zum Verlust von hoch qualifizierten und gut bezahlten Arbeitsplätzen, die unsere Heimat so dringend braucht. Sie beeinträchtigen unmittelbar die publizistische Leistung der Tageszeitungen. Der regionale Blick, auch auf Entwicklungen der Bundes- oder Europapolitik, schwindet; den Bürgern zwischen Boizenburg und Ueckermünde wird zunehmend ein vor allem kostengünstig produziertes Einheitsangebot vorgesetzt.

Es ist ein Alarmsignal, wenn es nach Einführung der gemeinsamen Mantelredaktion für Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten, der Ausgliederung der Mantelredaktion bei der Schweriner Volkszeitung sowie der geplanten Auflösung der Mantelredaktion des Nordkuriers künftig keine Tageszeitung mit eigenständiger Vollredaktion in Mecklenburg-Vorpommern mehr geben wird. In unserem Land haben die Bürger schon jetzt weniger Auswahl als irgendwo anders in Deutschland!

Unsere Demokratie braucht – gerade in schwierigen Zeiten wie diesen – eine breite Debatte, in der alle Positionen zu Wort kommen. Die regionalen Tageszeitungen spielen in diesem, vom Bundesverfassungsgericht 1966, als Wesenselement des freiheitlichen Staates qualifizierten Prozesses durch ihre hohe Reichweite ein zentrale Rolle als das dort beschriebene „Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung.“

Die Partner der Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern.“ setzen sich aktiv dafür ein, dass die Heimatzeitungen Mecklenburg-Vorpommerns auch in Zukunft diesen Anforderungen gerecht werden. Wir stehen für die Sicherung von Arbeitsplätzen und -bedingungen durch Tarifverträge und hoffen dringend darauf, dass auch die Politik durch eine überfällige Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen einen wesentlichen Beitrag leistet.

Erlauben Sie, dass wir noch einmal das „Spiegel-Urteil“ zitieren. Bereits vor 40 Jahren konnten Deutschlands oberste Richter „an eine Pflicht des Staates denken, Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen könnten.“ Dieser Punkt ist offenbar erreicht und eine verbindliche Stärkung der redaktionellen Unabhängigkeit und Mitwirkungsmöglichkeiten der Journalisten die zeitgemäße Antwort auf den bedauerlichen Verlust an Vielfalt.

Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, mehr als 3000 Unterschriften zeigen, dass die Menschen Ihrer und unserer Heimat diese Anliegen teilen. Daher möchten wir Sie herzlich bitten, sich unseres Anliegens anzunehmen und die Diskussion für eine zukunftsfähige Presse zu fördern.

Mit freundlichen Grüßen

Ernst Heilmann                      Kai Voigtländer
ver.di-Landesbüro MV            Deutscher Journalisten-Verband MV


Empfangsbereit: Die Vertreter der Initiative vor dem Schweriner Staatstheater.

22. Januar 2009