Kai Voigtländer, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes Mecklenburg-Vorpommern

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren,
Umstrukturierungen auf dem Zeitungsmarkt, Auflagenschwund und Konzentrationsprozesse, Verkaufsverhandlungen und Übernahmepoker, Ausdünnen und Zusammenlegen von Redaktionen oder Redaktionsteilen, Arbeitsverdichtung und Entlassungen, Tarifflucht und katastrophale Honorierung der Leistungen von freien Journalistinnen und Journalisten: vertieft man sich aus Anlass der Aktuellen Stunde vor zwei Wochen und aus Anlass dieser Anhörung heute in die Geschichte der Diskussion um die Novellierung des Landespressegesetzes, dann kann einen leicht das Gefühl beschleichen, das alles schon einmal gehört und gelesen zu haben.

Denn die Stichworte, die ich eben genannt habe, sind - journalistisch gesprochen - alles alte Hüte: es sind die Schlagworte der Diskussionen aus dem Jahr 2000, als es schon einmal eine Debatte gab um die Novelle des Landespressegesetzes, es sind die Schlagworte des Jahres 2005, als die Fraktionen dieses Hauses eine große Anhörung veranstaltet haben zum Thema „Vielfalt der Medien und Innere Pressefreiheit.“

Nichts Neues in MV, könnte man also sagen. Aber das trifft die Lage nur unzureichend. Denn im Vergleich zu 2000 und auch zu 2005 hat sich die Situation der Printmedien, der Tageszeitungen im Lande noch einmal verschlechtert. Statt mehr Vielfalt haben wir mehr Einfalt, mehr Konzentration und noch mehr regionale Monopole: mehr als 90 Prozent des Landes sind Ein-Zeitungs-Kreise. Das sind, in Begriffen der Ökonomie gesprochen, wettbewerbsfreie Zonen. Da setzt und definiert eine einzige Zeitung ohne lästige Konkurrenz die lokalen und regionalen Themen, und worüber sie nicht berichtet, das findet dann eben einfach nicht statt. Oder dringt nicht ans Bewußtsein der interessierten Öffentlichkeit. Ist das eigentlich noch mit § 3 des Landespressegesetzes vereinbar, der die öffentliche Aufgabe der Presse definiert als Mitwirkung an der Meinungsbildung?

Wie soll in dieser Monopolsituation der auch aus der Verfassung zwingend abzuleitende Außenpluralismus zu Stande kommen? Der kann sich ja eben nur im Streit, also in der Konkurrenz der Kommentare und recherchierten Geschichten, entfalten. Wie soll eine einzige Zeitung die Vielfalt der Meinungen und Haltungen zu einem Thema abbilden? Wie soll sie so zur freien und nicht interessegesteuerten politischen Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger beitragen? Demokratie, meine Damen und Herren, braucht keine Monopole, sondern Vielfalt - besonders in der publizistischen Landschaft. Und die auf den ersten Blick zahlreichen Anzeigenblätter gehören ebenfalls - wie die Kuriere dem Nordkurier, die Anzeiger der OZ und die Expresse der SVZ, der Blitz allen drei Verlagen.

Die Lage der Printmedien im Lande hat sich im Vergleich zu 2000 und zu 2005 noch einmal verschlechtert. Und auch das ist nur eine Zwischenstufe, denn die Konzentrationswelle rollt weiter.

Gucken Sie sich um, reden Sie auf Terminen mit den Kollegen, die dort mit Notizblock und Kugelschreiber herum laufen - wenn Sie denn noch Kollegen auf Terminen treffen. Denn journalistische Recherche heißt angesichts der zunehmenden Arbeitsverdichtung und Personalverknappung allzu oft nur noch: Griff zum Telefonhörer, und: Schaun wir mal, was google und wikipedia so anbieten.

Sprechen Sie mit Volontärinnen und Volontären, wenn Sie am Wochenende in Ihrem Wahlkreis unterwegs sind, beim Dorffest oder beim Sportverein. Sie werden feststellen, dass diese jungen Menschen in Ausbildung am Wochenende oft genug allein und eigenverantwortlich eine ganze Lokalausgabe bauen - selber schreiben, Seiten gestalten, Texte von Freien redigieren, Fotos bestellen ... die ganze Palette der Redakteursarbeit. Auszubildende als presserechtlich Verantwortliche - übrigens weder nach Tarifvertrag noch nach dem Landespressegesetz zulässig.

Der Nordkurier existiert noch - auf dem Papier, das aus der Rotation kommt. Die Redaktion aber ist zerschlagen in sieben - oder acht, man verliert da leicht den Überblick - selbständige Gesellschaften. Die Tarifbindung ist gelöst. Neueinstellungen, wenn es sie denn überhaupt gibt, werden unter Tarif bezahlt. So wie auch die jüngst neu eingestellten Volontäre. Selbstbewußte und eigenständige Redakteure bekommt man auf diese Weise sicherlich nicht.
Auch der Mantel wird übrigens von einer eigenständigen Firma produziert. „Die Moral im Haupthaus ist am Boden“, schreibt eine Redakteurin, und weiter: „Fehler über Fehler in der Zeitung - Rechtschreibung, Grammatik, Inhalt. Peinlich.“

Das sind Einschätzungen, die Sie von vielen Kolleginnen und Kollegen hören werden. Kein Wunder, denn wie aus der Redaktion kolportiert wird, soll demnächst der Lübecker Mantel der Rostocker Ostsee-Zeitung getestet werden. Was wird dann aus den in Neubrandenburg überzähligen Mantelredakteuren. Und was wird dann den Lesern angeboten? Von Lübeck bis nach Pasewalk: das Gleiche. Wer mir das als Vielfalt und als lebendige Presselandschaft verkaufen will, der muss sich schon sehr anstrengen.

Die Mantelredaktion der Ostsee-Zeitung arbeitet jetzt von Lübeck aus - wir haben diesen Prozeß kritisch und mit Protesten begleitet. Fragen sie doch mal die Rostocker Kollegen, die von ferne aus die Lübecker Mantelproduktion begleiten und ergänzen sollen, wie sie ihre eigene Rolle bei der Zeitungsproduktion einschätzen, wie oft sie einen eigenen Mantel produzieren und wie oft sie Themen aus unserem Bundesland in den gemeinsamen Mantel helfen dürfen. Und, aber das nur am Rande, schauen Sie doch mal, wie unterschiedlich die Redaktionen beider Zeitungen am 13. März zum Tod des hierzulande ja sehr beliebten Schauspielers Erwin Geschonnek berichtet haben: dann verstehen Sie vielleicht, warum es so wichtig ist, dass Journalisten eine lebendige Verbindung haben zu der Region, aus der und für die sie berichten.

Dass die SVZ demnächst nicht mehr aus Flensburg gelenkt wird, sondern wie der Rest der Zeitungsgruppe wahrscheinlich aus Hannover oder aus Essen, das pfeifen die Spatzen aus dem Schweriner Verlag. Der sh:z-Verlag - ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen mit einer Umsatzrendite von 10 Prozent laut Geschäftsbericht von 2006 - das sind Zahlen, von denen man in anderen Branchen noch nicht einmal zu träumen wagt. Über 100 Entlassungen in Schwerin, outsourcing von ganzen Redaktionen in Flensburg - die Braut ist geschmückt für den Heiratsmarkt.

Die Konzentrationswelle rollt, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern. Mehr als 60 Prozent der Tageszeitungstitel sind bundesweit mittlerweile in der Hand von drei oder vier großen Verlagsgruppen. Und drei zumindest formell selbständige Zeitungstitel in MV sind vielleicht schon im nächsten Jahr, vielleicht im Jahr 2010 schon Geschichte.

Die Geschäftsbedingungen haben sich verändert. Die klassische Verlegerzeitung alten Typs ist ein Auslaufmodell, genauso wie der Verleger-Patriarch als Einzelunternehmer. Chefredakteure sind heute nicht mehr in erster Linie die eigenwilligen Köpfe einer selbstbewußten Redaktion mit Rückgrat gegenüber dem Verleger. Sie sind Teil des renditeorientierten Managements. Besonders extrem Das bedroht die Pressefreiheit, und darum fordern wir, wie schon 2000 und 2005, die Novellierung des Landespressegesetzes. Wir brauchen sie heute noch dringender als vor drei, vor acht Jahren.

Der Gesetzgeber muss eingreifen. Jetzt. Natürlich nicht im Sinne einer Reglementierung. Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Journalisten sind mit Sicherheit die letzten, die staatlichen Eingriffen in die Freiheit der Presse das Wort reden. Wir brauchen eine Novelle des Pressegesetzes, um die Freiheit der Presse zu schützen - vor den entfesselten Kräften und dem besinnungslosen Umsatzfetischismus des Marktes.

  1. Wir brauchen erstens eine Stärkung der inneren Pressefreiheit. Stärken Sie den Redaktionen den Rücken, in denen Tag für Tag Journalistinnen und Journalisten „Nachrichten beschaffen und verbreiten, Stellung nehmen, Kritik üben“ und in all dem „an der Meinungsbildung mitwirken.“ Auch Journalisten sind Träger der Pressefreiheit, ebenso wie die Verleger, und genau so gehört dieser Satz ins Landespressegesetz.

  2. Wir brauchen zweitens klare Regeln und Verfahren, mit denen Konflikte und Interessengegensätze zwischen Geschäftsführung und Redaktionen ausgetragen und verhandelt werden können. Redaktionen brauchen die Möglichkeit, über Redaktionsstatute mitzuwirken an der Qualität ihrer Zeitung und am publizistischen Profil der Publikationen, für die sie arbeiten.

  3. Wir brauchen drittens, gerade angesichts der zunehmenden Konzentration und Verflechtung von Zeitungstiteln und Medienkonzernen, klare und unmißverständliche Transparenzregelungen. Verlage müssen in ihren Zeitungen und anderen Publikationen regelmäßig und nachvollziehbar darlegen, wem sie gehören und wie sich ihre Eigentums- und Beteiligungsverhältnisse gestalten. Denn die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, wer - unter welchen Umständen und mit welchen Interessen - an ihrer Meinungsbildung arbeitet.

Das alles sind weder neue noch unerhörte Forderungen. Sie vollziehen bloß nach, was sich in der Zeitungslandschaft dieses Landes wie ganz Deutschlands verändert hat. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass redaktionelle Mitbestimmung funktioniert, nicht zum Schaden, sondern zum Nutzen der Zeitung - wie zum Beispiel beim Mannheimer Morgen oder der Saarbrücker Zeitung.

Und der Landtag von Schleswig-Holstein hat nach einer ebensolchen Anhörung im vergangenen Jahr beschlossen, die Offenlegung der Eigentumsverhältnisse der Verlage in das Landespressegesetz einzuarbeiten.

Unsere Forderungen tun nicht weh, kosten kein Geld und sind dringend notwendige Schritte zur Schadensbegrenzung. Damit die Pressefreiheit hierzulande nicht einfach in der allgemeinen Gewerbefreiheit aufgeht, sondern bleibt, was sie sein soll: unverzichtbares Element für die Meinungsbildung des Souveräns und Rückgrat der Demokratie.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

17. Juli 2008