Robert Haberer, Betriebsratsvorsitzender Ostsee-Zeitung.

Sehr geehrte Damen und Herren,
ein Beispiel aus dem Alltag macht die Situation anschaulich: Wenn, wie in der vergangenen Woche geschehen, im Rechenzentrum der Lübecker Nachrichten der Strom ausfällt, dann funktionieren seit Anfang Juni auch bei der Ostsee-Zeitung zwischen Usedom und Grevesmühlen die Computer nicht mehr. Denn die Zentralrechner des Redaktionssystems „Hermes“ mit dem bezeichnungsreichen Namen „LNOZPROD“  – man beachte die Reihenfolge – stehen natürlich in Lübeck.

Im atemberaubenden Tempo ist in den vergangenen Monaten unter dem Schlagwort „Kooperation“ etwas umgesetzt worden, was mit der eigentlichen Bedeutung des Begriffs nur wenig gemein hat. Denn Kooperation steht für das Zusammenwirken zweier gleichwertiger Partner. Hier aber entsteht ein System – mit dem Schwerpunkt Lübeck. Von dort kommen die Konzepte und überwiegend auch die leitenden Mitarbeiter, die sie umsetzen.

Diese Entwicklung, sehr geehrte Damen und Herren, macht uns als Betriebsrat der Ostsee-Zeitung große Sorgen. Denn sie stellt – gerade mittelfristig – die Eigenständigkeit und damit die Entwicklung der größten Tageszeitung unseres Landes in Frage.

Im Brennpunkt der als „Optimierung“ apostrophierten Sparpolitik steht die Redaktion: In der Fachpresse konnte man es schon im Frühjahr 2007 lesen, dass die überregionale Berichterstattung nach Lübeck gehen würde. Für die Betroffenen hieß es da noch: Alles ist offen! Erst im Januar wurde es schließlich zur Gewissheit: Die gemeinsame Mantelredaktion soll an die Trave.

Die Enttäuschung bei den Kolleginnen und Kollegen über diese Entscheidung und wie sie zustande kam, sitzt tief. Mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet und der besten Auflagenentwicklung aller Zeitungen in den neuen Bundesländern im Rücken, hatten sich die Rostocker als durchaus ebenbürtig gegenüber ihrem (deutlich kleineren) Partner in Lübeck gesehen. Und waren in Vorleistung gegangen: Im Rekordtempo wurden die technischen Systeme angeglichen, um sowohl in Lübeck wie auch in Rostock produzieren zu können. Immer in der Hoffnung auf Kooperation – auf eine faire Teilung der Aufgaben. Doch das Konzept, das ohne Beteiligung der Betroffenen entstand, wurde diesen Erwartungen nicht gerecht.
Mittlerweile ist die Redaktions-Service-Gesellschaft gegründet und produziert die ersten Seiten: Politik, Aus aller Welt und teilweise die Seite 3, also den „Blickpunkt“, das Aushängeschild jeder Zeitung.

Es ist der Anfang eines Prozesses, dessen Ende noch nicht absehbar ist. Soviel steht fest: Es sollen weitere Seiten folgen – Service, Beilagen, Teile der Wirtschafts-, Kultur- und womöglich auch der Sportberichterstattung. Die Redaktions-Service-Gesellschaft mit Sitz in Lübeck wird laut Plan auf 35 bis 40 Mitarbeiter anwachsen. Das ist etwa die Hälfte der Redakteure, die bislang bei Lübecker Nachrichten und Ostsee-Zeitung den jeweiligen Mantel gestaltet haben.
Halten wir also fest: Es geht um Rationalisierung, um den Abbau von qualifizierten und gut bezahlten Arbeitsplätzen. Da hier unter dem Strich „optimiert“, also kräftig gespart werden soll, kann man sich ausmalen, was das für die jetzige Redaktion in Mecklenburg-Vorpommern bedeutet.

Noch sind in Rostock genügend Redakteure beschäftigt, um tatsächlich eine von der Redaktions-Service-Gesellschaft angebotene, aber für die Ostsee-Zeitung nicht passende Seite ablehnen zu können und stattdessen beispielsweise einen eigenen „Blickpunkt“ zu produzieren.

Doch das wird sich ändern: Allein durch Altersteilzeit wird die Ostsee-Zeitung ein Viertel aller Redakteure verlieren. Im Pressehaus am Steintor werden immer mehr Schreibtische frei. Bald könnten auch die ersten Versetzungen in Lokalredaktionen auf der Tagesordnung stehen.

Dort ist Hilfe hoch willkommen, denn es wird an der Belastungsgrenze gearbeitet. Das hat die Arbeitszeitregelung an den Tag gebracht, die der Betriebsrat in der Einigungsstelle erreicht hat. Die angeblich nur in der Fantasie existierenden Überstunden haben sich als real erwiesen.

Umso bedenklicher sind die Pläne, die Kapazitäten in den Lokalredaktionen, dem immer wieder wortreich beschworenem „Herzen der Zeitung“ zu reduzieren, indem die Redaktionssekretariate zur Disposition gestellt werden. Diese sind unverzichtbare Helfer beim Verwalten der zahllosen Termine, beim Erstellen der Service-Seiten mit Veranstaltungsterminen und ärztlichen Notdienstnummern, als kompetente Ansprechpartner für unsere Leser und bei vielen anderen täglich notwendigen Arbeiten.

Redakteure von heute fotografieren, layouten und erledigen bereits Dutzende technische Handgriffe. Sie sind tatsächlich „eierlegende Wollmilchsäue“. Genau das reduziert immer weiter die Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben: Für Recherche, die mehr als simples Aufschreiben ist. Für die Nähe zu den Lesern. Für das Schreiben. Es geht also auf Kosten der Qualität.

Sehr geehrte Damen und Herren, so problematisch all diese Entwicklungen sind: Es wäre ungerecht, wenn wir als Betriebsrat nur Klage führten. Wir haben es im Vergleich zu anderen Verlagen immer noch mit einer Geschäftsführung zu tun, mit der Kompromisse möglich sind. Der von den Kollegen erstrittene Tarifvertrag, der vor allem eine anständige Behandlung der Kolleginnen und Kollegen in der Redaktions-Service-Gesellschaft sicherstellt, ist dafür ein Beispiel.

So wichtig dieser Tarifvertrag ist, er löst aber nicht alle unsere Probleme. Damit aus der verbrieften Absicht – nicht Garantie! – Rostock und Lübeck paritätisch zu entwickeln, Realität wird, bedarf es weiter des vollen Einsatzes.
Deshalb stehen wir als Betriebsrat weiter zu unserem Vorschlag, in fairer Arbeitsteilung an beiden Standorten produzieren. In der Redaktion und in anderen Bereichen. Wir ringen um jede Stelle, um in Rostock Kompetenz zu bewahren, um Arbeitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern zu halten.

Bislang überwiegen die Zweifel und bei vielen Mitarbeitern stellt sich die Frage: „Was bleibt auf Dauer in Rostock?“ So sind tatsächlich einige neue Server installiert, aber noch keine der als „Gegenleistung“ versprochenen zusätzlichen Aufgaben in Verwaltung oder anderen Bereichen dazugekommen. Vielmehr mehren sich die Befürchtungen, dass auch im Verlagsbereich weitere Einschnitte bevorstehen und unter Umständen erneut Arbeit nach Lübeck verlagert wird, das weitere Stellen für den Medien-Standort Mecklenburg-Vorpommern verloren gehen, um die ehrgeizigen, von der Konzernmutter Springer ausgegebenen Renditeziele zu erreichen.

Die letzten anderthalb Jahrzehnte waren von einem kontinuierlichen Arbeitsplatzabbau geprägt: Von den fast 900 Menschen, die 1990 in Vollzeit bei der Ostsee-Zeitung arbeiteten, sind knapp 400 übrig. Da viele von ihnen Teilzeit arbeiten, entspricht das allerdings nur rund 350 vollen Stellen. Tendenz: fallend.

Diese Problemlage zeigt – und das gilt nicht nur für die Ostsee-Zeitung: Mit der Bewältigung der sozialen Folgen der Umbrüche sind Betriebsräte und Gewerkschaften vollauf in Anspruch genommen.

Sie können einen wichtigen Beitrag für die Sicherung der Qualität leisten, indem sie um Arbeitsplätze und andere Ressourcen ringen, die Qualität erst möglich machen. Da gilt es, auf Arbeitszeiten ebenso achten, wie auf die Einhaltung des Tarifvertrages, nach denen die Volontäre ausgebildet werden. Damit sie das journalistische Handwerk lernen und nicht vorrangig als günstige Arbeitskräfte eingesetzt werden.

Doch in den publizistischen Fragen sind Betriebsräte nur bedingt die geeigneten Instanzen. Die journalistische Eigenständigkeit und Qualität einer Zeitung kann nur die Redaktion auf Dauer bewahren.

An diesem Punkt setzt die Forderung nach mehr Mitsprache- und Mitwirkungsrechten aller Redakteure an, für die wir uns als Betriebsräte stark machen, eben weil wir unsere Grenzen kennen.

Ich kann Ihnen versichern: Es geht uns nicht darum, die Chefredaktion zu entmachten. Es geht darum, sie in ihrer Aufgabe zu unterstützen.

Diese Verantwortung gemeinsam zu tragen, ist dringend notwendig: Denn von der journalistischen Kompetenz hängt die Zukunft der Zeitungen in Rostock, ebenso wie Schwerin und Neubrandenburg ab – und damit die Zukunft aller Mitarbeiter.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie dringend, uns weiterhin ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Es geht um die Entwicklung unserer Zeitungen, eines wichtigen Stücks Heimat und eines wichtigen Elements unserer demokratischen Gesellschaft.

17. Juli 2008