Der Markt allein richtet es nicht!

Gemeinsame Stellungnahme von ver.di und DJV MV zur Fortsetzung  der Öffentlichen Anhörung „Unser Land braucht seine Zeitungen“ im Innenausschuss des Landtages Mecklenburg-Vorpommern am 16.10.2008 von Erst Heilmann (ver.di-Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern):

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
meine Damen und Herren,

wenn es eines Belegs bedurft hätte, wie richtig die Entscheidung ist, der Medienfrage einen zentralen Stellenwert in der Landespolitik zuzuweisen, dann konnte man ihn in der am Montag erschienenen Ausgabe des Fachmagazins „Kontakter“ nachlesen: Der Springer-Konzern erwägt dem Bericht zufolge offenbar ernsthaft den Verkauf der Ostsee-Zeitung und weiterer Regionaltitel. Nur wenig älter sind die Nachrichten aus den anderen Zeitungsverlagen Mecklenburg-Vorpommerns: Die Schweriner Volkszeitung gliedert ihre Mantelredaktion aus; der Nordkurier verlagert Teile seiner Produktion nach Leipzig.

Der Umbruch in der Presse gewinnt an Dynamik. Mit dramatischen Folgen für die Beschäftigten, aber auch für die Meinungs- und Pressevielfalt im demokratischen Meinungsbildungsprozess unseres Landes. Die Auswirkungen will ich in einer gemeinsamen Stellungnahme für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft und den Deutschen Journalisten-Verband Mecklenburg-Vorpommern eingangs kurz umreißen.

Die Aktuelle Stunde im Landtag und die Anhörung in dieser Runde vor drei Monaten haben deutlich gemacht, dass es Anlass zur ernsten Sorge um die Presse in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Die ohnehin geringe Vielfalt mit lediglich drei, in weitgehend gegeneinander abgegrenzten Gebieten erscheinenden Tageszeitungen, wird weiter reduziert. Damit verschärfen sich die ohnehin bestehenden Defizite bei der Gewährleistung der Informationsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Publizistische Vielfalt als „notwendige Bedingung für demokratische Meinungs- und Entscheidungsbildung“, so der Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, besteht ja nicht darin, dass man verschiedene Zeitungen täglich liest, sondern dass man die Möglichkeit dazu hat – auch in der Region. Diese Möglichkeit verringert sich zusehends.

Die Ostsee-Zeitung, der größte Titel in Mecklenburg-Vorpommern, ist keine eigenständige publizistische Einheit mehr, denn der Mantel kommt aus Lübeck. Wenn der Nordkurier diesem Beispiel folgen sollte, spitzt das zusammen mit der Ausgliederung der Schweriner Mantelredaktion die Lage weiter zu. Die sich abzeichnende Fusion von Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten in 2010 – erinnern Sie sich: Geschäftsführer Herr Ehlers hat das bei der Anhörung im Juli mit keinem Wort dementiert – ist der nächste Schritt auf diesem Weg.

Das ist Konzentration par excellence, das ist die weitere Reduzierung von Auswahl. Was bleibt denn noch übrig von einer eigenständigen, regional verbundenen Presse in Mecklenburg-Vorpommern? Die absehbare Reduzierung der drei Blätter auf zweieinhalb Dutzend Lokalausgaben werden dem Anspruch an Qualität und Vielfalt auf Dauer immer weniger gerecht.
Zumal der Personalabbau gleichzeitig beschleunigt wird. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen. Tendenzen zur inhaltlichen Verflachung sind längst nicht mehr zu übersehen. Gründliche Recherche ist aufwändig! Sie erfordert qualifizierte Journalisten, die immer öfter durch dürftig bezahlte und nicht ausreichend qualifizierte „Freie“ ersetzt werden. Recherche erfordert darüber hinaus kreative Freiräume, die durch Arbeitsverdichtung zunehmend verschwinden.

Die von den Aktienmärkten getriebene einseitige Renditeorientierung bestimmt zunehmend auch das verlegerische Handeln. Die ökonomische Stärke der Verlage, die zweifellos eine – aber eben nicht die einzige – Voraussetzung für einen kritischen, unabhängigen Journalismus ist,  wird zum alleinigen Maßstab. Darüber geraten der grundgesetzlich garantierte Informationsauftrag der Medien und die Informationsrechte der Bürger ins Hintertreffen.

Wir haben bereits in der Anhörung im Juli deutlich gemacht, welchen besonderen Stellenwert die Presse für die Demokratie hat. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Spiegel-Urteil  1966 einen Maßstab gesetzt, an dem sich auch die Medienpolitik messen lassen kann und muss. Schafft sie die Bedingungen, dass die Presse durch eine breite Debatte die demokratische Kultur stärkt? Eine Frage, die in Mecklenburg-Vorpommern gerade mit Blick auf den erstarkenden Rechtsextremismus von besonderer Bedeutung ist.

In aller Deutlichkeit: Der Markt allein richtet es nicht! Genau wie im Finanzwesen braucht es im Interesse des Gemeinwohls Regeln, die ökonomische Interessen und gesellschaftliche Notwendigkeiten in Einklang bringen.

Daher begrüßen wir ausdrücklich die öffentliche Debatte: Aktuelle Stunde, die erste Anhörung in diesem Ausschuss, erst recht der gemeinsame Antrag im Landtag zum jährlichen Bericht über die Medienlandschaft machen deutlich, dass die Politik ihre Verantwortung ernst nimmt.

Das setzt zunächst aktuelle und fundierte Kenntnisse der komplexen Sachverhalte voraus. Daher ist die wissenschaftliche Begleitung in diesem Prozess dringend geboten. Nur so kann Politik die Gefahren rechtzeitig erkennen und entsprechend handeln, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Deshalb gehört die regelmäßige wissenschaftliche Begleitung aus unserer Sicht zwingend zu den Punkten, die in einer Überarbeitung des Landespressegesetzes berücksichtigt werden sollten.
Ebenso wichtig ist es, Transparenz zu gewährleisten – vor allem für die Leser: Wem gehört meine Heimatzeitung? An welchen anderen Medien – Stichwort: multimediale Cross-Over-Vermarktung – ist sie beteiligt? Das darf nicht am ersten Tag des neuen Quartals en miniature unter dem Impressum versteckt werden, sondern sollte gut sichtbar und vor allem allgemein verständlich ins Blatt!

Gleiches gilt für die publizistischen Grundsätze. Eine Zeitung sollte ihren Lesern konkret erläutern, was sich hinter einem Anspruch wie „unabhängig“ verbirgt, welchen Stellenwert Themenkomplexe wie regionale und überregionale Politik, Wirtschaft, Sport und natürlich Unterhaltung haben. Damit es einen Maßstab gibt, an dem man das Blatt messen kann.
Beide Forderungen schränken die Verlage nicht in ihrer Freiheit ein. Sie schaffen nur Offenheit und begünstigen eine öffentliche Diskussion.

Eine „Kultur der Diskussion“ braucht es unserer Ansicht nach auch in den Verlagen selbst, denn innere Pressefreiheit ist unter den gegebenen Umständen – der in Mecklenburg-Vorpommern stark eingeschränkten  äußeren Vielfalt – unerlässlich, um Qualität und Vielfalt im Alltag praktisch zu verwirklichen. Träger der Pressefreiheit sind neben den Verlegern auch die Journalistinnen und Journalisten. Das Grundrecht wird arbeitsteilig ausgeübt und diese Arbeitsteilung gilt es zu gestalten, ohne die Akteure zu reglementieren.

Eine gesetzliche Regelung kann den Rahmen setzen, den Verleger und Journalisten dann mit verbindlichen Regeln füllen, um – das folgende Zitat stammt ebenfalls von Hoffmann-Riem – „Journalisten das Rückgrat für den Mut zum Durchhalten der eigenen Auffassung zu stärken“ und damit eine möglichst vielfältige Berichterstattung zu fördern. Es geht darum, die qualitativen und kreativen Potenziale einer Redaktion umfassend zu nutzen.

Mit einem Wort: Die öffentliche Aufgabe der Presse fordert eine besondere innere Ordnung. Die Politik ist aufgerufen, den Rahmen dafür zu schaffen. Äußere und innere Pressefreiheit lassen sich nicht voneinander trennen.

Unbedingt erforderlich ist es in diesem Zusammenhang, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk langfristig zu garantieren. Denn er ist ein zentraler Eckpfeiler in der bereits eingeschränkten Medienvielfalt im Land.

Die anstehende Änderung der Rundfunkstaatsvertrages stellt die Politik daher vor die Aufgabe, die Programmautonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu wahren – gerade auch im Internet. Die Entscheidung über Anzahl, Art, Inhalt, Form und Umfang der erforderlichen Programme müssen die erprobten Gremien treffen – und sich natürlich einer Diskussion über ihre Entscheidung stellen.

Publizistische Fesseln, wie eine thematische Beschränkung durch ein völlig unklares Verbot „presseähnlicher Angebote“ oder eine  7-Tage- oder gar eine 24-Stunden-Frist für die Veröffentlichung in Telemedien, sind verfassungsrechtlich sehr bedenklich. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Fünften Rundfunkentscheidung gesetzliche Barrieren zur Verhinderung publizistischer Konkurrenz, die auf ein inhaltliches oder zeitliches Verbot von Beiträgen hinauslaufen und durch wirtschaftliche Gründe gerechtfertigt werden, bereits ausdrücklich verworfen.

Außerdem wären derartige Regelungen – da ist Springer-Vorstandschef Döpfner unumschränkt beizupflichten – „mit einem an Kreativität und Meinungsbildung orientierten Verständnis von Presse- und Rundfunkfreiheit nicht vereinbar“. Man kann und darf mündigen Bürgern nicht vorschreiben, wann sie Medien nutzen sollen oder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgeben, nach einer Woche die Erfüllung seines grundgesetzlichen Auftrags einzustellen.  Zur juristischen Dimension verweisen wir im Übrigen auf die umfänglichen Stellungnahmen des Deutschen Journalisten-Verbandes zum 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag.

Ein ökonomischer Wettbewerb ist online ohnehin nicht zu befürchten, da es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk – vollkommen zu recht – verwehrt bleibt, Werbung, Sponsoring oder anderen elektronischen Geschäftsverkehr zu betreiben. Von der Annahme, die Telemedien der Presse und des privaten Rundfunks würden durch die Angebote der öffentlich-rechtlichen Anstalten gefährdet, kann derzeit nicht ausgegangen werden.

Auf die Region bezogen, genügt ein Blick auf die Infrastruktur der drei Zeitungen, um zu belegen, dass sie für den publizistischen Wettbewerb prinzipiell gerüstet sind: Da steht die Präsenz mit 30 Lokalredaktionen gegen vier NDR-Regionalstudios.

Die generelle Einschätzung bestätigt auch eine Studie der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF), die zu dem Schluss kommt, dass die privater Rundfunk und Presse sich im Internet gut behaupten und die Webseiten der Öffentlich-Rechtlichen nicht einmal als Konkurrenz wahrnimmt, eben weil dort keinerlei Werbung veranstaltet wird.

Dem gegenüber kann heute kaum deutlich genug gemacht werden, dass jede Einschränkung die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angesichts des veränderten Mediennutzungsverhaltens mittelfristig in Frage stellen würde. Die Zielgruppen von morgen gehen heute online – deshalb müssen Presse und Rundfunk gleichermaßen online an sie herantreten können.

In dem ohnehin sehr überschaubaren Medienmarkt von Mecklenburg-Vorpommern können wir auf keinen Akteur verzichten, um auch nur ein Mindestmaß an Qualität und Vielfalt in der Berichterstattung zu gewährleisten.
Die begrenzte Zeit hat es nur erlaubt, die zu diskutierenden Schwerpunkte zu umreißen. Im Folgenden werden Medienwissenschaftler Horst Röper und die Betriebsräte aus den Verlagen Details vertiefend darstellen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
 


17. Oktober 2008