Ermutigen Sie die Diskussion!

Stellungnahme der Betriebsräte aus den Zeitungsverlagen Mecklenburg-Vorpommerns, vorgetragen von Robert Haberer, Betriebsratsvorsitzender der Ostsee-Zeitung:

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
meine Damen und Herren,

vielen Dank, dass Sie die Diskussion über die Zeitungen in Mecklenburg-Vorpommern so schnell fortsetzen. Die Ereignisse der letzten Wochen unterstreichen aus unserer Sicht, wie notwendig das ist.

Dieses „uns“ bitte ich in diesem Zusammenhang so zu verstehen, dass ich – mit deren Einverständnis – auch im Namen der Betriebsräte von Schweriner Volkszeitung und Nordkurier spreche. Denn wir alle sehen uns vergleichbaren Entwicklungen und Problemen gegenüber.

Das beginnt bei den aufgeworfenen Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Zeitungen in den letzten Jahren. Zu diesem Themenkreis kann ein Verlags-Betriebsrat nur schwer Stellung nehmen, denn der Tendenzschutz – ein Unikat der deutschen Betriebsverfassung – verhindert, dass er über dieses Thema auch nur unterrichtet werden muss – von einer Mitbestimmung ganz zu schweigen. Warum allein das Wissen um die tatsächliche wirtschaftliche Lage eines Medienunternehmens der Pressefreiheit Schaden zufügen kann, ist kaum erklärlich – eines liegt jedoch auf der Hand: Die selektive Darstellung von Zahlen und Fakten hilft den Verlagen, ihre Interessen durchzusetzen und erschwert eine offene Diskussion.

So bleibt nur, aus öffentlich zugänglichen Quellen Fakten zusammenzutragen, um ein möglichst vollständiges Bild zum Stand der Dinge zu gewinnen:

Die drei Zeitungen haben seit dem Jahr 2000 zwischen einem Fünftel und einem Viertel ihrer Auflage verloren1. Bei den Erlösen wurde dieser Schwund durch eine kontinuierliche Erhöhung der Abo- und Einzelverkaufspreise mindestens teilweise kompensiert.

Das Anzeigen- und Beilagengeschäft verlief – der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung folgend – weniger geradlinig, aber keinesfalls nur abwärts. Im Gegenteil: Erst im zurückliegenden Jahr schnitten die Verlage in den neuen Ländern mit einem satten Plus von über sechs Prozent deutlich besser ab als der Durchschnitt2.

Im ersten Halbjahr 2008 hat sich die Lage allenthalben merklich eingetrübt. Aber es ist zu konstatieren, dass etwa das Beilagengeschäft hierzulande deutlich weniger Federn lassen muss, als im Nordwesten der Republik3.

Das ist nicht ohne Auswirkungen auf die Renditen geblieben: Die beiden letzten uns über den Bericht des Gesellschafters Axel Springer bekannt gewordenen Jahresergebnisse der Ostsee-Zeitung weisen einen Überschuss von 7,1 bzw. 5,3 Millionen Euro aus4. Das entspräche nach vorsichtigen Berechnungen einer Umsatzrendite von um die zehn Prozent5  – trotz Anschaffung einer 14 Millionen Euro teuren neuen Rotationsmaschine6… Dieser Wert erfüllt zwar nicht die Wünsche von  Gesellschafter Springer, der glaubt, den Aktionären Renditen im Zeitungsgeschäft von 20 Prozent und mehr bieten zu müssen . Aber es liegt deutlich über dem Durchschnitt der allgemeinen Wirtschaft.

Kommen wir zu den sozialen Folgen, über die Betriebsräte naturgemäß besser informiert sind: Ungeachtet des Auf und Ab der Konjunktur ist in all den Jahren der Personalabbau kontinuierlich fortgesetzt worden. Zwischen einem Fünftel  und einem Drittel der Stellen wurden gestrichen – auf unterschiedliche Art und Weise.

Schwerpunkte der Reduzierungen waren zunächst die Bereiche Technik und Verlag. Technische Rationalisierung, Fremdvergabe ganzer Abteilungen, Arbeitszeitreduzierung – kaum ein Instrument blieb ungenutzt. Traf es am Anfang vor allem Service-Bereiche wie Bewachung und Kantine, waren bald selbst kundennahe Tätigkeiten wie die telefonische Betreuung von Lesern und Inserenten betroffen, die auf ein gemeinsames Callcenter der drei Verlage in Neubrandenburg übertragen wurde. Jeder Auftrag an Drittfirmen wurde damit begründet, dass sie die Aufgaben günstiger erledigen würden – nicht zuletzt weil sie ihren Mitarbeitern „marktübliche“, sprich: deutlich schlechtere Löhne, zahlen.

Ein besonderes Kapitel sind die Zusteller. Insgesamt geht es um etwa 4500 Menschen, die Tag für Tag, bei Wind und Wetter dafür sorgen, dass die Zeitungen zum Leser kommen. Ihre Arbeit wird nach Stückzahlen entlohnt – und darin liegt das Problem: Angesichts sinkender Auflagen muss ein Zusteller entweder zunehmend größere Flächen betreuen, um auf die gleiche Zahl von Exemplaren zu kommen oder die zugestellten Stückzahlen – und damit letztlich die Einkommen – sinken bei gleich bleibendem Weg und sonstigem Aufwand. Betroffene selbst haben darüber berichtet, dass sie umgerechnet etwa einen Stundenlohn von fünf Euro erhalten – Tendenz eher fallend, bei wachsenden Transport-Aufgaben: eine zunehmende Zahl von Beilagen und zeitweilig sogar Post.

Die Vergütung wird von den Verlagen einseitig festgesetzt. Es gibt keinen Tarifvertrag für Zusteller, nicht einmal den Schutz eines Betriebsrates genießen sie, denn auch sie sind in formal „eigenständigen“ Dritt-Firmen beschäftigt und durch die Eigenart ihrer Tätigkeit – Teilzeit, viele tragen zudem nebenberuflich die Zeitung aus – nur schwer zu organisieren. Dass es auch anders geht, zeigt der Blick nach Lübeck, wo die Mitarbeiter der LN-Zustell GmbH ganz selbst-verständlich eine Interessenvertretung gewählt haben. Schade, dass in Mecklenburg-Vorpommern andere Regeln zu gelten scheinen – zum Nachteil der Arbeitnehmer.

Allerdings scheinen diese Kostensenkungspotenziale weitgehend ausgeschöpft. Daher gerät seit etwa 2003 die bis dahin weitgehend ungeschorene Redaktion zunehmend ins Blickfeld der Spar-Komissare aus dem eigenen Haus wie aus Unternehmens- oder sonstigen Beratungsfirmen, für deren Tätigkeit – allem Krisengerede zum Trotz – Geld vorhanden ist.

Vor fünf Jahren gab es die ersten Kündigungen beim Nordkurier und auch bei der Ostsee-Zeitung standen Entlassungen im Raum. Durch das engagierte Eingreifen von Betriebsräten und Gewerkschaften konnte das zwar verhindert bzw. gemildert werden, aber Arbeitszeitverkürzungen, Job-Sharing und andere Maßnahmen bedeuten eben letztlich den Verlust von Kapazitäten.

Bei der Ostsee-Zeitung wurden die teils erst kurz zuvor mit viel Aufwand eröffneten Außenstellen von Lokalredaktionen, u.a. in Binz, Richtenberg, Gützkow und Kühlungsborn, wieder geschlossen; beim Nordkurier experimentierte man in erheblichem Umfang mit der Produktion von Seiten durch Dritte. Ressorts wurden zusammen gelegt. Es ist nicht nur der Bauernverband, der in Neubrandenburg einen Ansprechpartner für die Themen Agrarpolitik und ländlicher Raum vermisst. Personalmangel, Organisationsprobleme und Arbeitsverdichtung führen dazu, dass gerade komplexere Themen, die viel Recherche erfordern würden, mitunter aus dem Blickfeld verschwinden und daher auch nicht (mehr) ins Blatt finden.

Dazu trägt auch der Umstand bei, dass immer mehr technische Arbeiten auf die Redakteure verlagert werden. Besonders weit fortgeschritten ist dies bei der Schweriner Volkszeitung, bei der sämtliche Redaktionssekretariate und Produktionsassistenten wegrationalisiert wurden. Da aber kein noch so hoch gelobtes EDV-System Anrufe entgegen nimmt oder Seiten wirklich eigenständig gestaltet, bleiben diese und viele andere Handgriffe, die sich summieren, auch noch bei den Redakteuren „hängen“.

Ebenso schmerzhaft für die Qualität sind die Kürzungen bei den Redaktionsarchiven, das in Schwerin gleich ganz geschlossen wurde. Die Schreibenden allein auf das Internet zu verweisen, ist mehr als problematisch, denn Wikipedia, Google und Co. sind zwar sicher wichtige Quellen, aber eben weder vollständig noch fehlerfrei.

Seit dem vergangenen Jahr hat die Restrukturierung die Redaktionen endgültig erfasst: Ausgliederung und Kooperation heißen die Schlagworte. Besonders krass im Kurierverlag, der nicht nur alles daran setzt, zur tariffreien Zone zu werden, sondern mittlerweile aus zehn Firmen besteht, allein sieben davon haben redaktionelle Aufgaben. Als offenes Geheimnis wird auf den Fluren gehandelt, dass der Mantel für Neubrandenburg künftig von einer anderen Zeitung bezogen werden soll.

Gleich zwei Anbieter gibt es allein im regionalen Umfeld: Die zum 1. Oktober ausgegliederte Mantelredaktion der Schweriner Volkszeitung mit dem Namen „mv:m“ oder die gemeinsame Redaktions-Service-Gesellschaft (RSG) der Ostsee-Zeitung und der Lübecker Nachrichten, die bereits seit einigen Monaten Seiten für die beiden Titel zuliefert.

Der Umbruch reicht tiefer, als es auf den ersten Blick scheint: Hier werden Strukturen zerschlagen, die sich über Jahrzehnte bewährt haben, um das journalistische Produkt Zeitung zu schaffen. Die Redaktionen werden mit voller Absicht unmittelbar dem Markt ausgesetzt – es zählt künftig die ökonomische Bilanz, weniger die publizistische Leistung. Wie soll unter diesem Druck, teilweise gesteigert bis zur blanken Existenzangst, denn noch Kreativität entstehen? Denn selbst wo es, anders als beim Nordkurier, noch den Schutz eines Tarifes gibt, mehren sich die Sorgen um die Zukunft.

Wohin das führen kann, wird immer deutlicher erkennbar: Die RSG bewirkt eine zunehmende Vereinheitlichung von Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten und zwar auf dem Standard der Lübecker Nachrichten. Die aktuelle Blattstrukturreform macht das deutlich: Seite 2: wie in Lübeck; Service-Magazin alias „3. Buch“: wie in Lübeck usw. Das ist leicht zu erklären, denn nur ein Bruchteil der Mitarbeiter der RSG sind „alte OZ’ler“.

Die über Jahre entwickelte Identität der Ostsee-Zeitung verschwindet zunehmend – in Optik und im Inhalt: Immer häufiger sind es nicht regionale Themen aus Mecklenburg-Vorpommern, die auf Seite 3 in den „Blickpunkt“ gerückt werden, sondern „softe Geschichten“ über den Privatflug ins Weltall, die Bedeutung des Lachens oder die schöne Welt der Märchen.

Das sind Beiträge, die sich mit geringem Aufwand recherchieren und zudem relativ problemlos in beiden Blättern – und vielleicht bald weiteren Abnehmern – abdrucken lassen.  Probleme, die auch bei anderen Kooperations-Projekten, so oder ähnlich auftreten dürften.

Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht – im Gegenteil: Die Vereinheitlichung des Layouts von Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten soll schon im kommenden Jahr in Angriff genommen werden. Und die Versetzung von Mitarbeitern aus dem Rostocker Mantel in die Lokalredaktionen zwischen Grevesmühlen und Usedom oder deren Ausscheiden in Altersteilzeit bewirkt, dass bald noch weniger Kapazität für eigene Geschichten vorhanden sein dürfte. Insgesamt verlassen die Ostsee-Zeitung in den kommenden Jahren absehbar rund 15 Prozent der Journalisten. Wie viele werden ersetzt?

Diese Prozesse sind ökonomisch motiviert, um Renditen zu sichern und möglichst noch zu steigern. Doch die Pressefreiheit ist mehr als die Pressegewerbefreiheit. Zeitungen haben einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag. Deshalb braucht es ein Gegengewicht zur wirtschaftlichen Macht der Verleger, eine Instanz, die sich der inhaltlichen Fragen annimmt, damit sie nicht (weiter) ins Hintertreffen geraten. Der publizistische Erfolg lässt sich auch – aber eben nicht allein – an der Entwicklung der Auflage messen. Es gilt, alle Parameter im Blick zu behalten. Diese Aufgabe kann am besten die Redaktion als Gesamtheit leisten.

Vor einem Missverständnis gilt es dabei zu warnen: Das ist kein Votum gegen Neuerungen. Zeitungen waren und sind – zum Glück – dynamische Produkte, die Neues probieren müssen und sollen. Umso dringlicher ist aber die breite Diskussion darüber, ob ein Experiment Erfolg hat oder nicht; ob das Blatt einen Kurs hält, der den unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnissen Rechnung trägt. Das ist gelebte Vielfalt und Unabhängigkeit!

Doch an dieser Diskussion mangelt es, den überkommenen hierarchischen Strukturen geschuldet. Die tägliche Mittags-Konferenz, in der die aktuelle Nummer kritisiert und die nächste Ausgabe besprochen wird, ist nicht der Ort, sich diesen grundsätzlichen Fragen zu widmen.

Wesentliche Entscheidungen werden meist ohnehin zwischen Geschäftsführung und Chefredaktion gefällt und dann der gesamten Redaktion vorgestellt. Wenn freilich eh alles schon „in Sack und Tüten“ ist oder auch nur scheint, schwindet die Neigung, sich mit einer abweichenden Meinung aus der Deckung zu wagen, zumal die bereits skizzierten Zukunftssorgen dräuen. Stattdessen wachsen Frust und Resignation – beides erklärte Feinde der Kreativität.

Aus dem Dilemma gibt es nur einen Ausweg: Wir müssen die Diskussion ermuntern, sie konsequent fördern – gerade jenen Stimmen Gehör verschaffen, die eine von der (vermeintlichen) Mehrheit abweichende Meinung vertreten. Sie sind es wert, gehört zu werden!

Bei der Ostsee-Zeitung gehen wir gerade erste Schritte auf diesem steinigen Pfad: Durch den Tarifvertrag zur Bildung der RSG hat sich der Verlag verpflichtet, sich einer inhaltlichen Diskussion zu stellen. In langwierigen Verhandlungen hat der Betriebsrat dieses grundsätzliche Bekenntnis zu einer Vereinbarung konkretisiert, die unter anderem fest schreibt, dass es mindestens einmal pro Jahr eine Versammlung aller Redakteure geben soll. Festhalten mussten wir auch, dass es eben keine Konsequenzen geben wird, wenn einer „den Mund aufmacht“. Denn das ist die große Sorge vieler Kollegen.

Wie weit das alles noch von einem Idealzustand entfernt ist, können Sie leicht daran ermessen, dass die erste Vollversammlung der OZ-Redakteure in wenigen Tagen stattfinden soll – drei Wochen nach Einführung der neuen Blattstruktur. Das mindert natürlich die Hoffnungen vieler Kollegen, weil ja ohnehin „alles entschieden“ sei.

Wir als Betriebsrat halten dem – siehe oben – entgegen: Zeitungen sind dynamische Produkte, da ist nichts auf ewig festgeschrieben. Vor allem: Es gibt keine Alternative, als den Versuch zu unternehmen. Kritik ist nur dann konstruktiv, wenn sie offen ist.

Die Debatte zeigt aber deutlich, wie schwierig dieser Weg ist, wie sehr alle Beteiligten Ermutigung brauchen, um ihn zu gehen. Sie, sehr geehrte Abgeordnete, haben es in der Hand, die Diskussion nachhaltig zu ermutigen. Mehr als ein Tarifvertrag oder gar eine Betriebsvereinbarung, die zudem nur für eine von drei Zeitungen gelten, würde eine Regelung zur redaktionellen Mitsprache im Landespressegesetz allen Beteiligten deutlich machen: Die ständige Diskussion ist nötig! Sie ist gewollt! Und zwar nicht nur von den Journalisten und ihren Vertretern, sondern gerade von der Öffentlichkeit, von den Lesern, die auch in Zukunft eine vielfältige Regionalpresse haben wollen. Vergessen wir alle nie: Sie haben praktisch keine Alternativen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!



1 IVW-Zahlen, siehe http://daten.ivw.eu/index.php

2 Zahlen von ZMG/BDZV: Das Gebiet Nielsen V/VI (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Berlin) wies sogar ein Plus von 7,8 Prozent aus.

3 Laut ZMG betrug der Rückgang bei Prospektbeilagen in den ersten beiden Quartale im Gebiet Nielsen I (Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein) -10,3 %, in Nielsen V/VI jedoch nur -5,4 %.

4 Konzernbilanzen Springer 2006/2007, Bilanz Lübecker Nachrichten GmbH, alle veröffentlicht beim Bundesanzeiger.

5 Die Ostsee-Zeitung hat für 2005 selber einen Umsatz von 50,9 Millionen Euro angegeben (17.01.2008, S. 8)

6 OZ vom 07.12.2006, S. 1

7 Erläuterung auf der Hauptversammlung am 24.04.2008 in Berlin; lt. Halbjahresbilanz 2008 liegt die Rendite bei Bild u.a. derzeit bei über 25 %.

17. Oktober 2008