Ganz nah bei mir? Die Ostsee-Zeitung ringt um ihre Eigenständigkeit

Mit einer Werbekampagne will die Verlagsleitung die Diskussion um die Zukunft der Ostsee-Zeitung beruhigen. Doch die Beschäftigten wissen: Nur mit verbindlichen Garantien kann man die Eigenständigkeit des größten Blattes in Mecklenburg-Vorpommern langfristig sichern.

Weil wir hier zu Hause bleiben wollen!

Die Kooperation bzw. Fusion von Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten betrifft Beschäftigte und Leser. Die Bildung der Gemeinschaftsredaktion in Lübeck ist nur der Anfang. Was kommt als  Nächstes?
Für die Sicherung der Eigenständigkeit der Ostsee-Zeitung und die  dauerhafte Bewahrung journalistischer Kompetenz und Arbeitsplätze am  Standort Rostock rufen die Partner der Aktion "Unser Land braucht  seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern.“ zu einer Kundgebung auf:
Mittwoch, 26. März, 13:00 Uhr, Rostock, Lindenstraße

„Ost und West machen gemeinsam Schlagzeilen“ war der Beitrag in den Lübecker Nachrichten überschrieben, mit dem die Leser des Blattes über die geplante Kooperation mit der Rostocker Ostsee-Zeitung in Kenntnis gesetzt wurden. Saubere, umfassende Recherche – nicht allein die Geschäftsleitung, sondern auch die Betriebsräte in Lübeck und Rostock kamen zu Wort.

Der Artikel hätte sicher auch die Leser der Ostsee-Zeitung interessiert. Doch denen entging das Stück – sie müssen sich mit einem neuen Werbeslogan begnügen. „Ganz nah bei mir“, verkünden die eilig im gesamten Verbreitungsgebiet geklebten Plakate und versprechen, dass die Zeitung auch weiter über lokale Ereignisse berichten wolle. Immerhin.

Ein Thema, zwei Schlagzeilen:

Geschonneck – fix abgefrühstückt

Zwischen Regionalzeitungen in Ost und West liegen manchmal immer noch Welten. Der Tod eines großen (ost-) deutschen Schauspielers führte es jüngst drastisch vor Augen. „Mime mit Herz und Haltung“ titelte die Ostsee-Zeitung am 13. März 2008, ließ eine ganze Seite das ungewöhnliche Leben von Erwin Geschonneck Revue passieren, jenes Mannes, der mit Filmen wie „Karbid und Sauerampfer“, „Nackt unter Wölfen“ und „Jakob der Lügner“ Kinogeschichte schrieb.

„Dass Erwin Geschonneck gestorben ist, gehört zu den traurigsten Nachrichten des gestrigen Tages. Tröstlich ist jedoch die Gewissheit, dass dieser so ernsthafte Komödiant zu jener Sorte Schauspieler gehört, die in ihren besten Filmen und in der Erinnerung des Publikums noch lange leben wird.“ Mit diesem Schlusssatz dürfte der Autor den Lesern in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Herzen gesprochen haben.

Was man von der „Würdigung“ im OZ-Schwesterblatt „Lübecker Nachrichten“ schwerlich behaupten kann. Dort titelte man ganz locker: „Auch ein Überlebender muss einmal sterben.“ Hintergrund, der die bahnbrechende Erkenntnis vermittelnden Headline: Geschoneck, der 101 Jahre alt wurde, gehörte zu den nur 350 von 4000 KZ-Häftlingen, die im April 1945 die Bombardierung des Schiffes „Cap Arcona“ in der Lübecker Bucht überlebten.

Was folgt, ist eine lieblose Aneinanderreihung von Agenturmaterial: Erwin Geschonneck – fix abgefrühstückt. Mag sein, dass das den meisten Lesern im Holsteinischen reicht. In Mecklenburg-Vorpommern wäre es ein kapitaler journalistischer Schiffbruch gewesen.

Die Bundes- und Europapolitik wie auch andere überregionale Themen erscheinen in der Logik der Verlagsleitung als notwendiges Beiwerk,  nicht als wesentlicher Inhalt einer gut gemachten Regionalzeitung.  Geschäftsführer Thomas Ehlers, der im Verbund des Axel-Springer-Konzerns bereits Welt und Berliner Morgenpost auf Kooperationskurs trimmte, hält den gegen das Einheitskonzept argumentierenden  Betriebsräten und Gewerkschaften vermeintliche Erfahrungen vor: Die Bergedorfer Zeitung beziehe doch auch ihren Mantel vom Hamburger Abendblatt…

Dass hier Blätter mit einer Auflage von 23000 bzw. 170000 nonchalant in einen Topf geworfen werden, irritiert die Betroffenen ebenso, wie der Umstand, dass der Großraum Hamburg wohl anders zu bewerten ist, als die weitläufigen, sich über zwei Bundesländer erstreckenden Verbreitungsgebiete von Lübecker Nachrichten und Ostsee-Zeitung, die künftig vom angeblich gemeinsamen Zentrum an der Trave bedient werden sollen. Dass es in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein regelmäßig unterschiedliche Sichtweisen auf vermeintlich überregionale Ereignisse machen viele Beispiele im Alltag deutlich (siehe rechts).

Vor allem fürchten die Rostocker, dass die zu Anfang Mai geplante Gemeinschaftsredaktion nur der Anfang sein könnte: Dann sollen erst einmal Seiten oder Berichte zu Politik, überregionaler Wirtschaft und Kultur aus Lübeck kommen sowie die Seite 3 - traditionell das Aushängeschild jeder Zeitung. Ratgeber- und so genannte Service-Seiten sollen folgen und auch die Beilagen, beliebter Lesestoff am Wochenende. Damit ginge journalistische Kompetenz am Standort Rostock verloren, ein Stück Weltläufigkeit. Die Ostsee-Zeitung wäre künftig keine wirklich eigenständige Zeitung mehr. Selbst eine gemeinsame Produktion von Sportseiten aus Lübeck, sportlich eher eine wenig attraktive Region, steht im Raum.

Dem schrittweisen publizistischen Bedeutungsverlust von Rostock haben Gewerkschaften und Betriebsrat das Konzept einer fairen Kooperation, mit der Verteilung der Aufgaben zwischen beiden Standorten entgegengestellt. Es wird von der Geschäftsleitung bislang abgelehnt. Stattdessen soll die vage Aussicht auf Arbeitsplätze in der Verwaltung die Beschäftigten der Ostsee-Zeitung beruhigen. Doch die wissen: Die Redaktion ist das Herzstück der Zeitung – und zwar Mantel- und Lokalressorts. Deshalb wollen sie sich - auch im Interesse der Leser – nicht mit jederzeit widerrufbaren Versprechen zufrieden geben, sondern bestehen auf verbindlichen Zusagen. Damit die Ostsee-Zeitung auch übermorgen noch „ganz nah bei mir“ ist.

19. März 2008