Journalistentag: Tarifflucht gefährdet Unabhängigkeit und Qualität

Auf einer Tagung unter dem Titel „Unter Einfluss – Agenda-Setting in den Medien“ haben Praktiker, Gewerkschafter und Wissenschaftler die aktuelle Lage des Journalismus analysiert und Auswege aus der Qualitätskrise diskutiert.

Mit einer Resolution haben sich die Teilnehmer des 25. Journalistentages der Deutschen Journalisten-Union in ver.di (dju) gegen Versuche von Verlage zum Unterlaufen der geltenden Tarifverträge gewandt. „Dem Erfindungsreichtum scheinen dabei kaum Grenzen gesetzt“, heißt es in dem von den 150 Teilnehmern einstimmig angenommenen Papier. Nachdem es den Arbeitgebern in der zurückliegenden Tarifrunde nicht gelungen sei, ihre Forderungen nach massiver Verschlechterung der Arbeitsbedingungen vor allem jüngerer Kollegen durchzusetzen, wählten etwa der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (sh:z) mit seiner Tochter Schweriner Volkszeitung (SVZ) die Verbandsmitgliedschaft „ohne Tarifbindung“, um ihre Ziele zu erreichen.

„Dieser Kurs der Verleger gefährdet jedweden Qualitätsjournalismus, der für das demokratische Gemeinwesen von unverzichtbarer Bedeutung ist.“ Ohne angemessene Arbeitsbedingungen und ausreichende Besetzung der Redaktionen könne die Presse ihre Funktion als machtkontrollierende vierte Gewalt nicht ausüben.

Auf der Tagung in Berlin, bei der sich auch die Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern.“ vorstellte, diskutierten unter dem Motto „Unter Einfluss – Agenda-Setting in den Medien“ interessierte Praktiker, Gewerkschafter und Wissenschaftler über „gefährliche Nähe“ und interessengeleitete Fremdeinflüsse auf Journalisten. „Journalisten stehen jeden Tag unter erheblichem Einfluss. Das ist nicht zu beklagen, sondern zu analysieren“, forderte Kurt-Peter Christophersen, ehemaliger Lokalchef des Stader Tageblatts mit Blick auf Beispiele und Methoden solcher Einflussnahme durch Politik und Wirtschaftsvertreter. Es komme darauf an, dass Journalisten „mental und materiell so ausgestattet sind“, um trotz solcher Anfechtungen ihren Aufgaben im Sinne ausgewogener Berichterstattung nachzukommen. Die etwa in Redaktionsstatuten verankerte „innere Pressefreiheit“ sei eine wichtige Unterstützung in der ständigen Auseinandersetzung um redaktionelle Unabhängigkeit von verlegerischen Interessen.

Ermunterung, Rückgrat zu zeigen, scheint dringend nötig: „Das Entscheidende ist, was in unseren Köpfen drin ist. Oft fehlt die Zivilcourage, der Mut, die Kampfbereitschaft, unbequem gegen den Mainstream anzuschwimmen“, so Josef-Otto Freudenreich, der heute als Redaktionsleiter der Internet-Wochenzeitung „Kontext“ das Thema Stuttgart 21 intensiv weiter verfolgt.

Besonders im Wirtschaftsbereich oder in Forschungsfragen werden Journalisten oft „Studien“ oder „Experten“ offeriert, deren Statements im redaktionellen Alltag nicht immer gegengeprüft werden. Dass derartiger Lobbyismus Instrument zur Manipulation von Medien und Öffentlichkeit sein kann, erörterte Günter Bartsch, freier Journalist aus Berlin und Geschäftsführer des Netzwerk Recherche e.V. an Beispielen aus der Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Er empfahl, mehr Sorgfalt und Zeit auf die Recherche von Vernetzungen und Hintergründen zu verwenden.

Dass sich die Arbeitsbedingungen der Journalisten in den vergangen Jahren kaum verbessert haben und dass „die Fähigkeit, sich selbst und die eigene Tätigkeit kritisch zu reflektieren,“ dadurch litten, erläuterte Medienwissenschaftler Prof. Vinzenz Wyss aus Winterthur. Aktuelle Studien auf Basis von Journalistenbefragungen in der Schweiz verweisen auf abnehmende Arbeitsplatzsicherheit, stagnierendes Einkommen und wenig Gelegenheit zur Weiterbildung. Wyss riet, auch im Zusammenhang mit der künftigen Förderung und Finanzierungsmodellen von Journalismus verstärkt über Qualitätssicherung und entsprechende Selbstverpflichtungen nachzudenken.

Service: Die dju dokumentiert die Beiträge des Journalistentages in einer Anfang des kommenden Jahres erscheinenden Broschüre.
28. November 2011