Diskutierten beim Presse-Tag im Schweriner Schloss: Ernst Heilmann, Martin Dieckmann, Dr. Elke Grittmann, Moderator Michael Schmidt, Kai Voigtländer und Dr. Wolfgang Storz (von links).

Presse-Tag fordert Medienpolitik für das 21. Jahrhundert

Eine Gesetzesinitiative des Landtags zur Sicherung von Qualität und Vielfalt der Medien in Mecklenburg-Vorpommern haben die Teilnehmer des Presse-Tages gefordert. Gleichzeitig kritisierten sie scharf den Versuch der Verlagsleitung des Nordkuriers, verschlechterte Honorarbedingungen zu Lasten freier Autoren durchzusetzen.

Aus den Grußworten

Dass die Lage der Presse in Mecklenburg-Vorpommern ernsthaft Grund zur Sorge gibt, ist bei den Entscheidungsträgern in der Landespolitik angekommen: Ute Schildt, medienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, mahnte: „Pressefreiheit ist bedroht, wenn Zeitungen nur noch als Wirtschaftsbetriebe auftreten und agieren.“ Deshalb unterstützt Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) die Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen“ auch mit seiner Unterschrift.

Der Koalitionspartner im Schweriner Landtag, die CDU, zeigt sich ebenfalls besorgt über die Entwicklungen im Nordosten. Deren Experte in Medienangelegenheiten, Dr. Armin Jäger, der zum Presse-Tag wegen des zeitgleichen Landesparteitages der Union verhindert war, meldete sich deshalb schriftlich zu Wort: „Ich unterstütze die Anliegen der Initiative.“

Helmut Holter, Fraktionsvorsitzender der Linken, ist sich des bedenklichen Wandels bewusst. Die journalistische Freiheit sei in Gefahr. Um welch sensibles Gut es sich dabei handelt, was andere als gewöhnliche, am „Markt“ zu messende Dienstleistung abtun, unterstreicht sein Satz: „Zeitung gebührt der Anspruch der Daseinsvorsorge.“

Zweifel an dem aktuellen Kurs der Verleger äußerte Ingo Schlüter vom DGB: Müssten Themen wirklich „sexy aufbereitet“ sein, um wahrgenommen zu werden, wie der Geschäftsführer von Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten, Thomas Ehlers, im Innenausschuss zu Protokoll gab? So kämen die Zeitungen ihrer gesellschaftspolitischen Aufgabe nicht mehr im nötigen Umfang nach.

Reinhard Knisch (Bündnis 90/Grüne) mahnte handwerkliche Sorgfalt und Leseförderung an, indem etwa Schulklassen regelmäßig mit Zeitungen beliefert und die Schüler so zur Lektüre ermutigt würden.

Bei der Veranstaltung der Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern.“, die im Besucherraum des Schweriner Landtags stattfand, ermunterte Martin Dieckmann von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die Politiker des Landes: „Gerade angesichts der besonders schwierigen Lage in Mecklenburg-Vorpommern haben sie die Chance, eine Medienpolitik für das 21. Jahrhundert zu gestalten.“

Es müssten dringend neue Wege beschritten werden, um die für die Demokratie unverzichtbare Tagespresse langfristig zu sichern. Im Zuge der Föderalismusreform sei die Zuständigkeit für die Medienpolitik an die Länder übergegangen. Dieckmann griff die Forderung nach einer Überarbeitung des Landespressegesetzes auf.

Ergänzend kann er unabhängiges Regulativ für die Print- und Onlinemedien auf Landesebene vorstellen, wie es im Rundfunkwesen bereits existiert. Das wäre dann eine vernünftige Instanz, sich über Qualität, Vielfalt und Berufsbild auszutauschen.

Studie: Knappe Ressourcen setzen Kreativität Grenzen

In einer Studie, die auf dem Presse-Tag erstmals vorgestellt wurde, hatte zuvor Medienwissenschaftlerin Dr. Elke Grittmann von der Universität Hamburg deutliche Defizite in der publizistischen Praxis aufgezeigt: „Durch Fusionen und die Zusammenlegung von Redaktionen und Zeitungsteilen leiden nachweislich die Vielfalt der Berichterstattung und die journalistischen Qualität.“ In einer Mantelredaktion für zwei oder mehr Zeitungstitel macht man sich immer weniger die Mühe, Artikel auszutauschen. Stattdessen werde regionale Nähe durch ausgetauschte Befragungen einiger Leser auf der Straße ersetzt. Nordkurier und Schweriner Volkszeitung produzieren seit April einen gemeinsamen Mantel; auch Teile der Ostsee-Zeitung kommen seit vergangenem Jahr aus einer Lübecker Zentralredaktion.

Für die Untersuchung wurden mehr als 2000 Artikel in sechs Tageszeitungen Mecklenburg-Vorpommerns und Schleswig-Holsteins aus den Jahren 2003 und 2008 ausgewertet. Angesichts der schwindenden Ressourcen konstatierte Grittmann, dass dem erkennbaren Bemühen der Journalisten um Originalität und Lesernähe immer engere Grenzen gesetzt würden. In drei Vierteln aller Artikel war die analytische Tiefe, also die Vermittlung von Hintergründen, gering oder fehlte gänzlich. Grittmann warnte in ihrem Vortrag vor monopolistischer Einfalt: „Hier geht grundsätzlich etwas verloren.“

Die wissenschaftlich Sicht belegte Kai Voigtländer, Landesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), mit verschiedenen Beispielen aus dem redaktionellen Alltag. Selbst die Berichterstattung über Themen „vor der Haustür“ würde zunehmend per Agenturmeldung geleistet, statt Probleme wie die heftig umstrittene Ferkel-Fabrik in Alt Tellin umfassend aufzuarbeiten. Die Hintergründe fänden sich stattdessen in überregionalen Zeitungen.

Durch seine neue Honorarordnung untergrabe der Nordkurier zudem die Lebensgrundlagen eines ganzen Berufsstandes, der freien Autoren. Aufträge an freie Journalisten werden im Internet ausgeschrieben. Zu einem festen Honorarsatz von 15 Euro für Text und Foto kann man sich dort für ein Thema unter Abtretung der Urheberrechte bewerben bzw. verdingen.

„Das werden wir nicht hinnehmen“, erklärte Voigtländer. Was für Nordkurier-Geschäftsführer Lutz Schumacher kein Problem darstellt, bezeichnet Ernst Heilmann aus dem ver.di-Landesbüro als „modernen Sklavenmarkt“.

Dr. Karina Becker.

Aufruf: Der Deformation des Journalismus offensiv begegnen

Zur offensiven Auseinandersetzung mit Missständen rief die Soziologin Dr. Karina Becker (Universität Jena) auf. An einem Beispiel aus Schweden demonstrierte sie die Abgründe der Marktlogik: Bei der Internetzeitung „Nyheter24“ werden Autoren für ihre Beiträge nach Anzahl der Klicks vergütet. „Wenn Online-Journalisten nach Zugriffszahlen bezahlt und damit letztlich zu ,Klick-Huren‘ degradiert werden, müssen Interessenvertretungen zum Konflikt bereit sein, um ein Gegengewicht gegen die alleinige Logik des Marktes zu setzen.“

Dr. Wolfgang Storz von der Universität Kassel und ehemaliger Chefredakteur der Frankfurter Rundschau ermutigte in diesem Zusammenhang Journalisten zur kritischen Reflexion ihrer Arbeit. Der zunehmenden „Deformation des Journalismus“ müssten sie gemeinsam mit der gesamten Gesellschaft widerstehen.

„So wie andere Unternehmen sich dem Anspruch stellen müssen, die Frage der Rendite mit den Ansprüchen des Sozialen und des Ökologischen auszutarieren, so müssen Medienunternehmen die Frage der Rendite mit den Ansprüchen des Sozialen und der Demokratie austarieren“, fordert Storz. Wer dies nicht tue, werde vom Sanierer eines Medienhauses zum Abdecker des Qualitätsjournalismus.

In Kürze erscheint eine Dokumentation des Presse-Tages. Der Zwischenbericht der Studie ist auf Anfrage erhältlich.

10. Mai 2009