Qualitätsjournalismus in Gefahr –  Verlegermodell am Ende?

Die Alarmlampen läuten allerorten: Weil den Redaktionen infolge von Sparmaßnahmen der Verlage zunehmend die Ressourcen entzogen werden, wird hartnäckige Recherche immer mehr zur Ausnahme, verschwimmen die Grenzen von Journalismus und Public Relations –  genug Stoff für eine  kontroverse Debatte beim 2. Medienpolitischen Stammtisch im Haus des Rostocker Senders rok-tv.

Gerd Schneider: PR als Journalismus getarnt nimmt zu.



„Wir müssen reagieren“, mahnt der Hamburger Journalistik-Professor Siegfried Weischenberg, sonst sehe es in zehn Jahren ganz finster aus. Der Qualitätsjournalismus sei in höchster Gefahr, besonders auf dem flachen Land wäre die Situation beängstigend, antwortete Weischenberg auf die Frage des Abends. „Sind die Zeitungen noch retten?“ war das Motto des 2. Medienpolitischen Stammtischs, zu dem die Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern.“ gemeinsam mit dem Rostocker Kanal rok-tv eingeladen hatte, der die Runde für sein Medienmagazin „lokalisiert“ aufzeichnete. Wo die Leser nur noch auf eine Zeitung zurückgreifen können, werde es kritisch, wenn dort die Ressourcen gekürzt werden, die Verleger an der Ausbildung sparen und „freie“ Journalisten von ihrer Arbeit kaum mehr leben können.

Die Sendung von rok-tv wird mehrfach im Rostocker Kabelnetz, später aber auch über „FiSCH-TV“ in Schwerin sowie in Berlin und Hannover ausgestrahlt.

Eine Folge dieser dramatischen Entwicklung: Die Grenzen zwischen Journalismus und PR verschwimmen zunehmend. Moderator Gerd Schneider, langjähriger Direktor des NDR-Landesfunkhauses, verwies auf das jüngst von der ZEIT veröffentlichte Dossier „Deutschland, entblättert“, in dem der Nordosten eine prominente Rolle spielt. Dort sei auch von einem freiberuflich arbeitenden Pressesprecher die Rede, der mehrfach Texte als normale redaktionelle Beiträge in der Ostsee-Zeitung platzierte.

Was freilich nur die Spitze des Eisberges ist, wie bei der an die Sendung anschließenden Diskussion mit im Publikum sitzenden Politikern klar wurde. Dort beklagte ein Kreistagsmitglied aus Nordvorpommern, wie ein Landtagsabgeordneter dank der Hilfe eines freien Journalisten stets bestens in der Tageszeitung präsent sei.

Nordkurier-Chefredakteur Michael Seidel: Neue Strukturen beseitigen „Redaktionsbeamtentum“.

Ein aktuelles Beispiel für ungehemmte Eigenwerbung der Verlage brachte Robert Haberer, Vorsitzender der Deutschen Journalisten Union und Betriebsrat bei der Ostsee-Zeitung, zur Sprache. Auf einer guten halben Seite preist der Nordkurier in seiner just an diesem Tag veröffentlichten Ausgabe die Vorzüge seines Briefdienstes.

„Na und?“, konterte Michael Seidel, Chefredakteur des Neubrandenburger Blattes. Wenn es Berichtenswertes aus eigenem Hause gebe, müsse man dieses doch nicht verschweigen. Im Übrigen leiste der Briefservice einen wichtigen Beitrag zum Überleben des Blattes.

Seidel hatte an diesem Abend keinen leichten Stand, als er vehement den Sparkurs des Blattes verteidigte und das Verschwinden eines „Redaktionsbeamtentums“ als „positive Auswirkung“ der tiefgreifenden Umstrukturierung durch Ausgliederung von Redaktionen und anderen Verlagsteilen sowie Tarifflucht erkennen wollte. Als Eckpunkte der redaktionellen Neuausrichtung nannte er die Konzentration auf lokale und regionale Themen sowie den Ausbau der Online-Aktivitäten, um verstärkt jüngere Leser anzuziehen. Zustimmung gab es dafür von den anderen Teilnehmern auf dem Podium zwar kaum. Doch es sei schon respektabel, so Moderator Schneider, dass sich der Chefredakteur der Debatte überhaupt stellt.

Siegfried Weischenberg: Kulturgut braucht andere Finanzierungsmodelle.

Die Zeitung sei mehr als ein bloßes Wirtschaftsgut, stellte Professor Weischenberg mit Verweis auf den Artikel 5 des Grundgesetzes klar, sie sei eben auch eine Institution mit Verfassungsrang. Wenn man das so sehe, Journalismus als Kulturgut begreife, müsse man jetzt über andere Formen der Finanzierung nachdenken, denn das klassische Verlegermodell mit zwei Dritteln Finanzierung aus Anzeigen habe sich überlebt. Immerhin hätten die deutschen Tageszeitungen in den letzten 20 Jahren ein Fünftel ihrer Auflage verloren und einen erheblichen Anzeigenrückgang zu beklagen. Das massive Konkurrenzproblem, nicht nur durch das Internet, habe neue Rahmenbedingungen geschaffen. Verschärft würde dies durch eine zunehmende Komplexität bei in Folge von Sparmaßnahmen gleichzeitig abnehmender Professionalität journalistischer Arbeit.

Robert Haberer: Qualität braucht Ressourcen.

„Ich finde es gut, dass in MV von politischer Seite nachgedacht wird, wie wichtig Vielfalt ist“, lobte Weischenberg die aktuelle Debatte im Landtag, ging aber noch einen Schritt weiter. Stiftungen wären ein Weg, auch Subventionen dürften kein Tabu sein, zumal es diese zum Beispiel mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz schon längst gebe. Dann müssten allerdings auch klare Bedingungen gestellt werden, um bloßes Mitnehmen von Geld zu verhindern. Das Land könne da eine Pionierrolle einnehmen, allein schon mit dem Schritt, mit Offenlegung der Besitzverhältnisse bei den Verlagen für Transparenz zu sorgen.

Ändern müsste sich freilich auch das Denken auf Verlegerseite, hier zitierte Gerd Schneider den Chefredakteur der Wirtschaftszeitung Handelsblatt, Bernd Ziesemer: „Wir sind dabei unseren Berufsstolz zu verlieren. In den Verlagen haben oft kulturelle Analphabeten das Sagen, die schon lange keine Zeitung mehr gelesen haben, aber sich berufen fühlen, den Journalisten zu erklären, wie man eine Zeitung macht.“

Siegfried Weischenberg, Gerd Schneider, Robert Haberer und Michael Seidel (von links) in der Diskussion.


3. Dezember 2009