Zeitungs-Kongress: Nach den Visionen kommt der Alltag

Die gerade erschienene Dokumentation des 17. Forums Lokaljournalismus in Schwerin lädt zur kritischen Nachlese ein: In welchem Verhältnis stehen die auf der Tagung diskutierten Ansprüche und Pläne zur redaktionellen Realität?

Die gedruckte Dokumentation kann bei der Bundeszentrale für politische Bildung per E-Mail oder postalisch bestellt werden:
Bundeszentrale für politische Bildung
Lokaljournalistenprogramm der bpb
Adenauerallee 86
53113 Bonn

Die Sonderredaktion zu dem vom Zeitungsverlag Schwerin und der Bundeszantrale für politische Bildung  Ende Januar in der Landeshauptstadt mit großen Aufwand Ende Januar in der mecklenburg-vorpommerschen Landeshauptstadt ausgerichteten Kongress „Zeitung macht Zukunft. Print x Online = Qualität2“ war – laut Impressum – gut besetzt, was bei der Schweriner Volkszeitung (SVZ) sonst nicht der Fall ist. Neben einem online verfügbaren Dossier hat sie auch eine 32-seitige gedruckte Dokumentation vorgelegt, die zahlreiche Referenten der Tagung zu Wort kommen lässt.

Die Bedeutung der regionalen Presse unterstrichen nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Erwin Sellering in ihren Grußworten. Auch Berthold L. Flöper von der einladenden Bundeszentrale für politische Bildung sieht geradezu „die Renaissance des Lokaljournalismus, indem man sich wieder besinnt, an die Menschen heranzugehen“. Er bricht eine Lanze für den Reporter am Ort des Geschehens: „Der Journalist darf sich nicht in die Redaktion oder hinter Agenturen zurückziehen.“ Wie das angesichts sinkender Mitarbeiterzahlen bei tendenziell steigenden Umfängen zu bewerkstelligen wäre, lässt Flöper offen, sondern offeriert den Schreibern von heute die multimedialen Verheißungen von morgen: „Man muss sowohl Videos drehen, fürs Radio arbeiten und auch schreiben können.“ Einer für alles? „Es wird ja auch immer einfacher mit der Technik und der Bedienung.“ Trotzdem kommt Kunst immer noch von Können… „Es wird sich eine neue Art von Qualität entwickeln.“

Die hat auch der Chefredakteur der gastgebenden Schweriner Volkszeitung, Thomas Schunck, ausgemacht, der gerade in der Krise über Neues nachdenken will. „Auf dem Weg macht man dann sicher auch Erfahrungen unter der Überschrift ,Versuch und Irrtum‘.“ Und vergisst sie womöglich schnell wieder, denn das Archiv, das einem darüber Auskunft geben könnte, hat man im Hause SVZ schon vor einigen Jahren weggespart. Genügt vielleicht Wikipedia, um zu leisten, was der publizistisch Verantwortliche als nötig erachtet, um in der Internet-Ära mit gedruckten Blättern zu bestehen? In der Zeitung müsse die Redaktion mehr bieten als Tagesschau und Online-Auftritt: „Kommentierung, Einordnung, Hintergrund und das Herunterbrechen auf die Region und die Betroffenheit gerade ihrer Leserinnen und Leser.“

Womöglich sind dazu aber gar nicht immer Journalisten nötig. Peter Taubald, Chefredakteur der Heimatzeitungen aus dem Madsack-Verlag, der aktuell seine Hand nach Lübecker Nachrichten und ihrer Tochter Ostsee-Zeitung ausstreckt, präsentiert den „Bürgerreporter“. In der Online-Community myheimat.de werken sie an Text, Bild und Videos. Kostenfreier „Content“, der auch ins gedruckte Blatt kommt, etwa zur Berichterstattung über Vereine. Die wurde bislang von angestellten Journalisten oder honorierten freien Mitarbeitern geleistet, die den Grundsätzen des journalisten Handwerks verpflichtet waren.

Menso Heyl, ehemaliger Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, hält dagegen die journalistischen Tugenden hoch: „Im Web 2.0 werden wir täglich von Blogs und Gelaber überflutet.“ Für guten Journalismus sei es unwichtig, ob er digital oder gedruckt daher komme. „Hauptsache, die Qualität stimmt.“

Freilich: Nachdem die Kongress-Redaktion aufgelöst und ihre Mitglieder wieder im rauhen Arbeitsalltag bei SVZ und Co. angekommen sind, darf Heyl nach eigenen Angaben zunächst drei Monate auf einem Segeltörn („Richtung Finnland“) entspannen. Manchem (tariffrei, noch) fest Angestelltem oder ums Überleben ringendem freien Mitarbeiter fehlen trotz vergleichbarem Streß („Das ist wie ein siebeneinhalbjähriger Tauchgang“ – Heyl über seine Zeit beim Abendblatt) dazu schlicht die finanziellen Mittel.

19. März 2009