BILD buhlt um Kundschaft auf der Couch

Die Zeiten strikter Trennung zwischen Boulevard-Blatt und „seriöser Abonnementszeitung gehen auch in Mecklenburg-Vorpommern zu Ende. Mit „dem neuen Küsten-Abobuhlt BILD jetzt zwischen Wismar und Zingst um neue Leser.

Der Ton war forsch wie immer: „BILD kommt ab sofort zu Ihnen – nach Hause, ins Büro oder sogar in die Umkleidekabine!“ Was das Boulevard-Blatt jüngst in seiner Mecklenburg-Ausgabe hinausposaunte, ist Zeugnis dafür, dass auch BILD der Wind auf den bröckelnden Zeitungsmarkt ins Gesicht weht. Nun geht Springers Flaggschiff mit dem „Küsten-Abo“ auf Tingeltour, läuft den Lesern bis zur heimischen Stube hinterher. Vorbei die Zeiten, als Deutschlands größte Tageszeitung an anderen Orten als Kiosk, Tanke, Supermarkt undenkbar war.

Zunächst ist der Liefer-Service auf den Landstrich zwischen Wismar und Zingst begrenzt. Womit das Blatt nur im westlichen Teilrevier der Ostsee-Zeitung (OZ), dem Abo-Platzhirsch an der Küste, wildert. Pikanterweise bedient sich Bild beim Vertrieb der Logistik der OZ, obwohl diese längst nicht mehr zur Springer-Familie gehört, seit zwei Jahren in den Madsack-Konzern eingegliedert ist.

Zwar lockt BILD bisher nur auf begrenztem Terrain mit zweiwöchigem Gratis-Bezug und „Aufgewacht!“-Kaffeebechern. Doch das könnte sich schnell ändern. Mit dem zähen Ringen um Abo-Kunden hat BILD schon langen Atem bewiesen. Bereits 2005 fiel der Startschuss in Hamburg, Hannover und Sachsen zogen später nach. Wobei das Blatt in diesem Segment für seine Verhältnisse immer noch erstaunlich kleine Brötchen bäckt.

BILD-Hamburg brachte es Ende 2010 bei einer Gesamtauflage von knapp 230 000 gerade mal auf 12 096 Abonnements, wie die von der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) veröffentlichten Zahlen ausweisen. In Sachsen sieht es mit einem Anteil mit
8737 Stück gegenüber 152 600 im Einzelkauf verhältnismäßig etwas besser aus. Bundesweit sind die gut 37 000 Abonnenten bei einer Gesamtauflage von 2,9 Millionen aber nach wie vor ein fast vernachlässigbarer Faktor.

Doch solche Krümel liegen zu lassen, können sich die Könige des Boulevards offenbar nicht mehr leisten, gerade in Mecklenburg-Vorpommern. An der Küste ist die über das Jahr stark schwankende Auflage im traditionell schwächsten vierten Quartal seit Ende 2005 von 93 000 auf täglich knapp 77 000 zusammengeschmolzen. Und im auf Spitzenwerte abonnierten dritten Quartel stürzte der Verkauf vom 2009er-Zwischenhoch (102 000) auf 96 000.

Vor eineinhalb Jahren zog Springer mit drastischen Sparmaßnahmen am Rostocker Standort – ein Großteil der Lokalredakteure musste gehen – erstmals die Reißleine. Allerdings um den Preis, dass sich der Umfang lokaler Nachrichten deutlich reduziert hat. Doch auch die Konkurrenz der zunehmend auf Boulevard-Kurs segelnden Ostsee-Zeitung (Gesamtauflage 148 000) dürfte BILD in Mecklenburg-Vorpommern zugesetzt haben.
19. April 2011