Blattschuss: Großes Kino für Pressefreiheit im Nordosten

„Rabaukenjäger“ und kein Ende: Lutz Schumacher, Geschäftsführer und Chefredakteur des Nordkuriers, lässt sich als ruhmreicher Streiter für die Pressefreiheit feiern.  Einen so dankbaren Kontrahenten wie den „Wildschleifer von Vorpommern“ gibt es für die Presse im Land nicht alle Tage. Profis bringen die Medien heute auf stillem Wege zum Schweigen. 

Seine Popularität als unerschrockener Verteidiger der Pressefreiheit kostet Lutz Schumacher, Geschäftsführer und Chefredakteur des Nordkuriers, weidlich  aus: Ein Artikel nach dem anderen heizt die Auseinandersetzung zwischen dem Neubrandenburger Regionalblatt und der Justiz in Mecklenburg-Vorpommerns Nordosten weiter an. Vorläufiger Höhepunkt: Die Staatsanwaltschaft stellt Strafantrag gegen Schumacher wegen Beleidigung. Damit hat der Konflikt endgültig die bundesweiten Schlagzeilen und den politischen Raum erreicht.

Begonnen hatte die scheinbare Provinzposse mit dem Bericht eines Nordkurier-Reporters  über einen vermeintlichen „Rabauken-Jäger“. Der Waidmann, der ein erlegtes Reh an der Anhängerkupplung seines Jeeps über eine Bundesstraße gezerrt hatte, wehrte sich vor dem Amtsgericht Pasewalk gegen die Titulierung und bekam Recht. 1000 Euro Strafe soll der Journalist für die angeblich ehrverletzende Kränkung zahlen.

Großes Kino für Schumacher, der das – sicher fragwürdige – Urteil im eigenen Blatt (Verkaufsauflage: 78.000) scharf attackierte und sich dabei gleich in einer Reihe mit Spiegel und Frankfurter Allgemeinen Zeitung sah. „Rabauken in Richter-Roben“ schmähte er die Juristen, unterstellte ihnen Geschichtsvergessenheit angesichts zweier Diktaturen zwischen 1933 und 1989 und forderte gleich die Schließung des Pasewalker Amtsgerichts. Der folgende Eklat samt Werbe-Wirkung war offenbar einkalkuliert: „Lieber Staatsanwalt, auch dieser Kommentar dürfte Ihnen nicht schmecken. Bitte schicken Sie Ihre Ladung aber wenigstens mit dem Nordkurier-Briefdienst.“

Voilà, die Masche zieht: Nicht nur der Nordkurier ist mit der Berufung gegen das Pasewalker Urteil in die nächste Runde gegangen, sondern auch die wenig souverän agierende Justiz mit ihrem Strafantrag. Über Parteigrenzen hinweg hat sich die Landespolitik mit dem sonst eher als betrieblicher Rabiat-Sanierer bekannten Schumacher ebenso solidarisiert wie Journalisten-Organisationen und interessierte Öffentlichkeit. Schließlich der Ritterschlag von Boulevard-König Kai Diekmann: „Skandalöses Beleidigungsurteil gegen Reporter. Bild druckt den Artikel, der 1000 Euro Strafe gekostet hat.“

Bei der ganzen geschickt geschürten Aufregung geraten die Hintergründe leicht aus dem Blick: Sicher kann man dem als „Wildschleifer von Vorpommern“ titulierten Jäger vorwerfen, gleich die Strafjustiz statt des Medienrechts bemüht zu haben – aber immerhin kämpft er mit offenem Visier für seine Belange, nachdem eine Beschwerde beim Presserat ihm nur teilweise Erfolg brachte. Die Regel ist das längst nicht mehr: Das Verlangen nach Gegendarstellungen oder einer Richtigstellung war gestern.

Wer heute mit einer Berichterstattung unzufrieden ist, setzt immer häufiger einen möglichst renommierten Fachanwalt in Marsch, der von der Publikation eine Unterlassungserklärung verlangt. Unter Androhung einer Geldstrafe verpflichtet sich das Medium, die missliebigen Behauptungen künftig nicht mehr zu wiederholen, wirft noch vorhandene Exemplare in die Papierpresse, bereinigt Webseite und Digital-Archiv entsprechend. Der Leser erfährt – anders bei einer zur veröffentlichenden Gegen- oder Richtigstellung – nichts davon und der Betroffene hat endgültig Ruhe – ganz gleich, ob die Kritik berechtigt war oder nicht.

Ein Themenkreis, mit dem sich die Politik in Mecklenburg-Vorpommern durchaus einmal im Rahmen des Medienpolitischen Berichts der Landesregierung auseinandersetzen könnte. Der führt – mangels wissenschaftlicher Begleitung – seit Jahren ein Schattendarsein als pflichtschuldig erstellter Zahlenfriedhof. Statt mit diesem Instrument kompetent über den „Stand der Pressefreiheit“ im Nordosten zu recherchieren, greifen auch Schweriner Politiker zur Unterlassungserklärung, um die Presse zum Schweigen zu bringen.
1. Juni 2015