Gegen den Trend: Nordkurier wagt Alleingang

Die Scheidung zwischen Neubrandenburg und der Schweriner Volkszeitung ist besiegelt, die gemeinsame Mantelredaktion bald Geschichte. Ab Mitte 2013 will der Nordkurier wieder eigene Wege gehen, neue Redakteure einstellen und sich auf „Qualitäts-Lokaljournalismus“ konzentrieren.

Einen Sinn für den großen Auftritt kann Nordkurier-Geschäftsführer Lutz Schumacher, der seit Anfang des Jahres auch als Chefredakteur in Neubrandenburg amtiert, wohl niemand absprechen: Just zum Zeitpunkt, als mit dem Verkauf der Frankfurter Rundschau an die Frankfurter Allgemeine ein großes Kapitel deutscher Zeitungsgeschichte abgewickelt wird, verkündet der in der Branche bislang als „Zumacher“ verspottete Manager die Wiedergründung einer Mantelredaktion für das Blatt in Mecklenburg-Vorpommerns Osten.

Die per Pressemitteilung verkündete Scheidung vom Kooperationspartner Schweriner Volkszeitung (SVZ) ist für die Branche ein Paukenschlag. Dass ausgerechnet die kleinste Tageszeitung im Land (Verkaufsauflage 85 500 Stück) nun gänzlich eigene Wege gehen will, erscheint in Zeiten rasant voranschreitender Pressekonzentration fast abenteuerlich.

Noch erstaunlicher die Begründung. Die liest sich wie ein Zitat von Vertretern der Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern“: Ausgerechnet Schumacher, der bislang durch einen Kurs der Radikal-Sanierung von sich reden machte, führt die Bedeutung der Qualität der Berichterstattung an. „Der Auftrag kommt direkt von unseren Lesern, die uns monatelang Auskunft über ihre Vorlieben und Wünsche gegeben haben.“

Verlag will 14 Redakteure neu einstellen

Die Ergebnisse einer aufwändigen Reader-Scan-Studie, bei der mit technischen Hilfsmitteln das Lese-Verhalten analysiert wird, brachten laut Verlag auf der einen Seite „hohe Zufriedenheit“ mit der lokalen Berichterstattung. Auf der anderen Seite seien „Schwächen“ bei überregionalen Themen entdeckt worden. Konsequenz für Schumacher: „Nur Redakteurinnen und Redakteure, die in der Region stark verankert sind, können das aufschreiben.“

Seine Schlussfolgerung ist der Ausstieg aus der gemeinsamen Mantelredaktion, die SVZ und Nordkurier vor vier Jahren in die neu gegründete, tariflose Produktionsfirma mv:m ausgegliedert hatten. Stattdessen soll die Redaktion in Neubrandenburg mit 14 zusätzlichen Stellen aufgerüstet werden. Die Gesellschafter Kieler Nachrichten, der Augsburger Allgemeinen und der Schwäbischen Zeitung, denen der Nordkurier zu je einem Drittel gehört, tragen den neuen Kurs.

Ob den großen Worten auch solche Taten folgen, bleibt freilich abzuwarten. Woher sollen die Kräfte kommen, die die versprochene Qualitätsarbeit leisten? Die Neubrandenburger Verlagsgruppe hat in den vergangenen Jahren alle Register betriebswirtschaftlicher Grausamkeiten gezogen. Der einstige Nordkurier ist in mehr als zwei Dutzend tariffreier Firmen zerlegt und das Gehaltsgefüge flächendeckend deutlich gedrückt worden.

„Eben drum“, scheint Schumacher zu denken, der es selbst so auf den Punkt bringt: „Die Neuausrichtung der Verlagsgruppe und gutes Wirtschaften machten diesen Schritt möglich.“ Was freilich nichts über Konditionen für künftig einzustellende Redakteure aussagt.

Ausstieg aus der Rundfunk-Beteiligung

Der Kurierverlag hat seine erst 2010 auf ein Drittel aufgestockte Beteiligung am Radiosender Antenne MV abgegeben. Mit der Zustimmung der Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern übernahm Regiocast die Anteile und hält damit fast 94 Prozent an dem 1993 gegründeten Sender.

Wichtige Gesellschafter von Regiocast sind direkt und indirekt die Axel Springer AG, die medien holding:nord (Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag) sowie die Lübecker und Kieler Nachrichten.

Die Nordkurier-Gruppe bleibt nach eigenen Angaben Vermarktungspartner von Antenne MV im östlichen Mecklenburg-Vorpommern.

„Ehekrise“ kündigte sich bereits im Sommer an

Ganz überraschend kommt die Trennung von Schwerin ohnehin nicht. Bereits im Sommer 2012, als sich der Neubrandenburger Chefredakteur Michael Seidel in Richtung Landeshauptstadt verabschieden wollte, mehrten sich Anzeichen einer Krise der Beziehungen zwischen den beiden Verlagen. Als der Nordkurier Seidel kurz vor Jahreswechsel endlich ziehen ließ, kündigte dies die Auflösung der Redaktionsgemeinschaft an (QUVS berichtete).

Sicher ist, dass der Kurs der Neubrandenburger in den benachbarten Häusern aufmerksam verfolgt wird, steht er doch im krassen Widerspruch zum aktuellen Trend in der Presselandschaft. So setzt die Mediengruppe Madsack, zu der auch die Ostsee-Zeitung (Rostock) gehört, auf eine immer stärkere Zentralisierung, um Kosten zu sparen. Nachdem bereits 2007 die Produktion der meisten OZ-Mantelseiten zu den Lübecker Nachrichten verlagert wurde, liefert nun das in den vergangenen Monaten verstärkte Berliner Büro konzernweit nationale Inhalte zu, die von den einzelnen Titeln vor Ort verarbeitet werden.

Bei der Schweriner Volkszeitung hält die Zentrale des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages in Flensburg immer straffer die Zügel in der Hand. Das einst unter dem früheren Eigentümer Burda weitgehend selbstständige Blatt ist heute trotz neuen Etiketts („medienhaus:nord“) nur noch eine Filiale des großen Bruders von der Förde. Von 350 Mitarbeitern sind 140 übrig geblieben – zuzüglich der 21 Mitarbeiter der mv:m, die nun um ihre Zukunft bangen.

Was aus der nun ohne zweiten Partner dastehenden Mantelredaktion wird, steht in den Sternen. Bisher machten Schweriner Volkszeitung und Nordkurier bei ähnlichen Problemen oft kurzen Prozess, so dass die Angst vor Entlassungen groß ist. Die Gespräche mit dem Anfang 2010 gewählten Betriebsrat sollen in den kommenden Tagen beginnen.

1. März 2013