Hannover befiehlt – Rostock soll bluten

Begleitet von einer neuen Protestkundgebung, macht das Management die fragwürdigen Pläne zum Abbau von 50 Stellen bei der Ostsee-Zeitung öffentlich. Gewerkschaft und Betriebsrat rüsten zur Gegenwehr.

Protest vor dem Rostocker Steintor.

Die Antwort kam prompt und war eindeutig: Nur eine Stunde, nachdem das Management auf einer Mitarbeiterversammlung über neue Abbau-Pläne bei der Ostsee-Zeitung (OZ) informiert hatte, versammelten sich Beschäftigte aus Verlag, Redaktion und Technik vor dem Steintor – gegenüber des Medienhauses in der Rostocker Innenstadt. Bei einer weiteren Protestkundgebung, an der ver.di-Verhandlungsführer Martin Dieckmann teilnahm, erteilten sie dem Konzept eine klare Absage, mit dem die Mediengruppe Madsack aus Niedersachsen bei OZ und Lübecker Nachrichten (LN) die Sparschraube eine weitere Drehung fester anziehen will. Symbolisch wurden Euro-Scheine in die „Gierbox“ mit dem Konterfei von Konzernchef Thomas Düffert gesteckt. „Wir werden alles dafür tun, dass keiner in die Arbeitslosigkeit geht; niemand seinen Tarifschutz verliert und der Betrieb zusammenbleibt“, formulierte Dieckmann die Ziele für die anstehenden Verhandlungen, die Gewerkschaft und Betriebsräte in enger Abstimmung führen wollen.

Die angeblich von der „Rostocker Führungscrew“ entwickelten Vorstellungen, deren offizielle Verkündigung von der Konzernspitze vorsorglich überwacht wurden, folgen weitgehend der Logik des zwischen Hannover, Leipzig und Potsdam seit einigen Jahren mehrfach exekutierten Sparprogramms „Madsack 2018“: Personalabbau, Zentralisierung von Aufgaben, Tarifflucht. Kleinere Abweichungen werden von Beobachtern als Konzession an die als konflikterfahren bekannte Belegschaft der größten Tageszeitung Mecklenburg-Vorpommerns gedeutet.

Zugeständnisse mit Hintertürchen

Bei näherem Hinsehen erweisen sie sich die Zugeständnisse freilich oft als wenig belastbar: So sollen Bereiche wie die IT oder Blattplanung in Madsack-Töchter ausgegliedert werden, die Mitarbeiter könnten aber weiter vor Ort bleiben. Die Einschränkung „vorerst“ schwebt unausgesprochen mit – denn wie Madsack mit vermeintlich unrentablen oder anderweitig missliebigen Bereichen umspringt, haben die Beschäftigten des ehemaligen Kunden Service Centers (KSC) in Hannover bitter erfahren. Die jahrelang als besondere Innovation gefeierte Einheit wurde 2014 als angeblich defizitär abgewickelt – nachdem die Mitarbeiter die Forderung nach einem Tarifvertrag gestellt hatten.

Ein Jahr später machte der Konzern kurzen Prozess mit der Typomedien GmbH in Burgdorf vor den Toren der Niedersachsen-Hauptstadt. Die Firma, in die Madsack zuvor Satzdienstleistungen ausgegliedert hatte, war nun angeblich zu teuer geworden. Konsequenz: Schließung und Vergabe der Aufträge an die noch billigere „Konkurrenz“.

Eine ähnliche Drohung geht nun von den „Bedingungen“ aus, unter denen der Anzeigensatz in Rostock noch so lange weitergeführt werden könne, bis der letzte Mitarbeiter durch natürliche Fluktuation ausgeschieden sei. Angeblich seien „andere Anbieter“ auf dem Markt deutlich billiger – also müsse diese Differenz reduziert werden durch die Übernahme zusätzlicher Aufgaben bei Beibehaltung der 2010 vereinbarten Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden.

Vollkommen schutzlos wären schließlich diejenigen Beschäftigten, die sich – oft nach einem jahrzehntelangem Berufsleben bei der OZ – individuell bei anderen, selbstverständlich tariflosen Unternehmen der in immer kleinere Strukturen zergliederten Mediengruppe bewerben sollen.

Am härtesten träfe es freilich die Kolleginnen und Kollegen, die in der PowerPoint-Präsentation des Managments vor der Belegschaft unter der Rubrik „ohne Lösung“ geführt werden. Ihnen, darunter vielen in der Altersgruppe über 50 Jahre, droht der Gang in die Arbeitslosigkeit.

Bilanzen weisen Millionen-Gewinne aus

Die jetzt in Rostock und Lübeck vorgestellten Konzepte, denen kurz- und mittelfristig rund 15 Prozent der Arbeitsplätze zum Opfer fallen würden, werden einmal mehr mit einer „schwierigen wirtschaftlichen Lage“ begründet. Die LN befänden sich „in den roten Zahlen“; die OZ schriebe zwar „noch“ gute Ergebnisse – doch auch ihr drohe ein weiterer Rückgang, hieß es. Das verwundert angesichts der öffentlich zugänglichen Bilanzen der zurückliegenden Jahre: Die weisen bislang vor allem für die OZ kontinuierlich solide Millionengewinne aus – trotz des immer wieder beklagten Strukturwandels in der Branche von den Print- zu den digitalen Medien.

Schon machen Gerüchte die Runde von „außergewöhnlichen Belastungen“ durch Zahlungen an ehemalige Manager der beiden Firmen. Nach der Demontage des ehemaligen Geschäftsführers Thomas Ehlers, der im Mai 2015 deutlich vor Ablauf seines Vertrages ausscheiden musste, waren weitere Spitzenpositionen auf Weisung aus Hannover neu besetzt worden, um die zuvor relativ eigenständig agierenden Verlage im Norden „auf Linie“ zu bringen.

Das neue Regiment bekam kurz darauf die Redaktion zu spüren: Sie wurde zuerst Opfer des vom größtes Madsack-Gesellschafter, der SPD-Medienholding ddvg aktiv getragenen Abbau-Szenarios. Denn obwohl sozialdemokratische Verantwortliche wie der Schatzmeister und ddvg-Generaltreuhänder Dietmar Nietan nicht müde werden, „einen Beitrag für die plurale Meinungslandschaft in Deutschland leisten“ zu wollen, verordnen sie den bereits blutarmen Patienten weitere Aderlässe: Um ein Viertel soll bis 2018 die Zahl der Mitarbeiter in den Redaktionen zwischen Usedom und Grevesmühlen gekürzt werden.

Dieser Konflikt ist noch nicht endgültig gelöst. Es stehen weiter Forderungen der Gewerkschaften nach einer besseren Besetzung im Raum; und die neue Produktionsmethode muss erst ihren Praxistest bestehen. Dennoch scheinen die Madsack-Verantwortlichen weiter fest entschlossen, ihre fragwürdigen Spar-Konzepte in Rostock durchzuziehen. Die Belegschaft rüstet zu weiteren Gegenwehr; Gewerkschaft und Betriebsrat kündigen energischen Widerstand an. Die anstehenden Verhandlungen werden zeigen, ob es Spielraum für Kompromisse gibt oder eine Eskalation droht.
9. Oktober 2016