Lang anhaltender, nicht enden wollender Jubiläums-Jubel

Mit ungewöhnlich viel Aufwand feiert die Ostsee-Zeitung ihren 65. Geburtstag – als gelte es, die Schattenseiten der Existenz im „Reich Madsack“ vergessen zu machen.

Jubiläumsausgaben der Ostsee-Zeitung.

Den vorläufigen Höhepunkt mehrmonatiger Dauer-Feierlichkeiten bildet das Geburtstagslied: „Die Ostsee-Zeitung hier im Norden ist für alle da. Die Ostsee-Zeitung, Tagesblatt seit 65. Jahr“, intoniert eine eigens engagierte Band bei jeder Veranstaltung mit den Lesern des Blattes, die sich währenddessen mit OZ-Bratwurst und OZ-Jubiläumsbier (Rostocker Pils mit Sonder-Etikett) stärken dürfen. In wackligen Versen lässt sich die größte Tageszeitung des Landes – aktuelle Auflage 126 000 – beglückwünschen: „Infos aus der Nähe bringt die Lokalredaktion, so ist man bestens informiert über die Region.“

Auftakt des Feier-Marathons, der sich bis in den September ziehen soll, waren drei Sonderausgaben. Wobei das erste Extrablatt tatsächlich eine Auseinandersetzung mit der wechselvollen Geschichte versuchte  – mit einer Rückblende vom marktwirtschaftlich agierenden Regionaltitel zum einstigen SED-Bezirksblatt (OZ-Lied: „Mit schön gefärbten Texten und Bildern in Schwarz-Weiß. So hat es angefangen, wie noch so mancher weiß.“).

Die beiden folgenden Nummern gerieten dann vorrangig zum Marketing in eigener Sache. Gemalt wurde ein rosarotes Bild der harmonischen „OZ-Familie“. Bei so viel heiler Welt durften – fürs Foto – sogar jene angeblich freien Mitarbeiter dazugehören, denen man sonst die Sicherheit eines Normalarbeitsverhältnisses vorenthält. Ebenso die Beschäftigten von Tochterfirmen wie Nordbrief, deren angeblich völlige Eigenständigkeit das Management bei jeder anderen Gelegenheit betont, wenn es etwa um eine gemeinsame Vertretung durch Betriebsräte geht.

Ein Interview, das Konzernchef Thomas Düffert in rechte Licht rückt, darf da nicht fehlen. Die Fragen als Stichwortgeber für Antworten wie diese: „Wir setzen auf selbst recherchierte Themen unserer Experten, die in unserem Hauptstadtbüro oder in den Redaktionen der Madsack-Zeitungen arbeiten“, feiert Düffert die schöne neue Madsack-Gemeinschaft auf Augenhöhe. „Die überregionalen Seiten produzieren wir in Hannover und bieten sie unseren Chefredakteuren an. Sie entscheiden, welche Seiten und Inhalte ins Blatt kommen.“

Dass nebenbei mit dem Sparprogramm „Madsack 2018“ der OZ ein Personalabbau von einem Viertel der Redaktion und das Verschwinden ganzer Abteilungen im Verlagsbereich beschert wurde, fällt da unter den Tisch, was altgedienten Mitarbeitern des Rostocker Blattes seltsam bekannt vorkommt. Ihnen fehle da nur noch der artig aufgeschriebene „lang anhaltende, nicht enden wollende Beifall“.

Die Situation könnte widersprüchlicher kaum sein. Während einerseits in der stetig schrumpfenden Belegschaft der Unmut über den aus Hannover verordneten Spar-Marathon brodelt, wird für das Jubiläum mit einer Vielzahl von Veranstaltungen und redaktionellen Extra-Leistungen ein Aufwand getrieben, den es bei früheren runderen Geburtstagen nicht gab – als gelte es, die Schattenseiten der Existenz im „Reich Madsack“ vergessen zu machen.

Dass die Zeiten einer weitgehend selbstständig agierenden Zeitung vorbei sind, ist schmerzhaft genug. Hannover hält die Zügel immer enger in der Hand. Der Spielraum der Redaktion vor Ort wird zunehmend kleiner. Anweisungen aus der Zentrale, welche Themen redaktionell „hochzuziehen“ sind und wie die anderen Abteilungen zu agieren haben, sind an der Tagesordnung.

Wer da nicht wunschgemäß mitzieht, für den wird es schnell ungemütlich. Seit dem Ausscheiden des früheren Minderheitsgesellschafters aus Lübeck und der Ablösung des einstigen Geschäftsführers im Jahr 2015 hat Madsack in der Rostocker Chefetage gründlich aufgeräumt. In den Bereichen Verlag und Technik wurde ein Abteilungsleiter nach dem anderen ausgetauscht. Zuletzt durfte der Anzeigenleiter seinen Hut nehmen – es habe „unterschiedliche Auffassungen über die künftige strategische Ausrichtung“ gegeben, so die der Belegschaft schon gut vertraute Standardformel der Geschäftsleitung.
27. Juni 2017