Am Horizont drohen die „Lübecker Ostsee-Nachrichten“

Nach einer Halbierung der Belegschaft in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten droht der Ostsee-Zeitung nun der Verlust der Selbstständigkeit durch eine faktische Verschmelzung mit den Lübecker Nachrichten. Der vom Springer-Verlag forcierte Kooperationskurs bedroht die Pressevielfalt im Norden.

Im Einheitslook dank „Super-Quiz“.

Kiosk-Käufer der „Ostsee-Zeitung“ (OZ) mussten im April und Mai ganz genau hinschauen, um nicht versehentlich die „Lübecker Nachrichten“ (LN) nach Hause zu tragen. Vier Wochen war das ganze Leben für beide Blätter nur ein Quiz. Dicke blaue Balken auf der Titelseite lockten  an Warnow und Trave gleichermaßen mit Gewinnchancen für Kreuzfahrten, Tankgutscheine und Messersets. So ähnlich wie beim „Super-Quiz“ sahen sich die Zeitungen noch nie.

Was hier für jeden offensichtlich wurde, ist nur die Spitze des Eisberges. Seit LN-Geschäftsführer Thomas Ehlers im Dezember 2006 die Leitung der OZ mit übernahm, rücken die Verlage in atemberaubendem Tempo zusammen. Spötter sprechen bereits von den „Lübecker Ostsee-Nachrichten“. Vor allem in der Rostocker Hauptredaktion geht die Angst um, bald nur noch ein Anhängsel des Schwesterblattes zu sein. Dass es in irgendeiner Form bald eine „gemeinsame Mantelredaktion“ geben soll, ist ein offenes Geheimnis, daraus macht auch Ehlers gegenüber der Belegschaft keinen Hehl.

Über das Wie herrscht allerdings noch Rätselraten. „Erwischt“ er erst einmal „nur“ vermeintliche Rand-Resssorts wie Ratgeber, Auto und Teile der Kultur? Oder geht es ums Ganze, bleibt die Rostocker OZ-Zentrale redaktionell vielleicht nur noch eine bessere Außenstelle?

Das Verlagsgebäude in Rostock am Steintor.

Jahrelanger Respekt vor unterschiedlichen Lesegewohnheiten schwindet

Die Verbindungen zwischen der größten Tageszeitung Mecklenburg-Vorpommerns und den Lübecker Nachrichten sind so alt wie die Wende. Seit 1990 ist die LN 50-prozentiger Gesellschafter der OZ, die andere Hälfte gehört dem Axel-Springer-Konzern, der wiederum im Lübecker Verlag als (offiziell nur) 49-Prozent-Gesellschafter die erste Geige spielt. Zwar drückten die Lübecker beim Neuaufbau in den 90er-Jahren der OZ unverkennbar ihren Stempel auf. Doch sonst waren beide Seiten schon wegen der sehr unterschiedlichen Lesegewohnheiten in Ost und West darauf bedacht, ihr jeweilige Profil als Heimatzeitung herauszustellen. Immer nach dem OZ Motto „Weil wir hier zu Hause sind“.

Heute weht an der Warnow ein anderer Wind. Das Blatt ist bunter, knalliger, boulevardesker geworden. Überregionale Themen spielen eine stärkere Rolle, und zunehmend finden sich Beiträge von OZ und LN-Journalisten auch in der jeweiligen anderen Zeitung wieder. Zwei Leitende der inzwischen auf vier Köpfe aufgestockten OZ-Chefredaktion kommen aus Lübeck. Erster Mann ist seit Anfang 2006 Manfred von Thien, zuvor Chef bei den Lübecker Nachrichten.
Sinnbild ist für den Kurswechsel ist der Abgang des seit 1989 amtierenden Chefredakteurs Gerd Spilker nach der Enthüllung bis heute nie restlos aufgeklärter Stasi-Vorwürfe. Dass dies ausgerechnet in Springers „Welt“ geschah, mögen nicht alle für Zufall halten. Bemerkenswert ist, dass der Konzern schon früher auf eine engere Zusammenarbeit drängte.

2004 rückte in Rostock, Lübeck und den ebenfalls zu Springers Einflusskreis gehörenden „Kieler Nachrichten“ die Hamburger Unternehmensberatung Schickler an, um mögliche „Synergieeffekte“ zwischen den Unternehmen zu prüfen. Offizielle Ergebnisse wurden den Belegschaften nie präsentiert, angeblich verschwand alles in der Schublade. Trifft die These zu, dass sich auch die jeweiligen Geschäftsführer dagegen sträubten, war dieses Hindernis zwei Jahre später in Rostock aus dem Weg geräumt, als der langjährige OZ-Geschäftsführer Kurt Sabathil mehr oder minder freiwillig den Hut nahm.

Erfolgreicher Widerstand gegen Kahlschlag-Projekte

Für einen harten Sparkurs stand auch Sabathil, der das Haus mehr als zehn Jahre führte. Von anfangs über 800 Mitarbeitern sind rund 400 übrig geblieben. Traf es zunächst Verlagsangestellte und Technik, geriet 2002/2003 auch die Redaktion in den Fokus. Kaum war die Ahrensburger Unternehmensberatung TMI im Haus, sollten neben Jobs im technischen Bereich auch 17 Redakteursstellen gestrichen werden. Nach heftigem Widerstand von Betriebsrat und Gewerkschaften konnten durch verkürzte Arbeitszeiten für alle Kollegen Kündigungen verhindert werden. Der Stellenabbau traf nicht nur die Zentrale, sondern auch die Lokalredaktionen. Die hatten zuvor bereits kurz nach der Einführung des Redaktionssystems Multicom die Halbierung der Stellen in ihren Sekretariaten verkraften müssen, was letztlich auf Kosten der Freiräume für journalistische Recherche ging.

In einem breites Aufsehen erregenden Kampf wehrte sich die Belegschaft 2005 und 2006 erneut gegen drohende Kündigungen durch den Austausch der Druckmaschine. Der Konflikt unter dem Motto „Ausgequetscht und weggeworfen? Wir sind keine Zitronen!“ gipfelte in einem zweiwöchigen Streik der von Entlassung bedrohten Mitarbeiter, der breite öffentliche Sympathie fand. Mit dieser Unterstützung im Rücken konnte der unsoziale Kahlschlag verhindert und 80 Prozent der Betroffenen eine Zukunft im Betrieb eröffnet werden.

Derzeit wird bei der Ostsee-Zeitung wieder ein neues Redaktionssystem eingeführt, und zwar das, mit dem die Lübecker Nachrichten arbeiten: Hermes. Wenn das richtig läuft, lassen sich blitzschnell Artikel und ganze Seiten austauschen. Die Ziele sind klar: „Synergieeffekte“ erwirtschaften und dadurch sowie durch Rationalisierung weitere Stellen abbauen. Unter anderem werden die Redaktionssekretariate auf den Prüfstand gestellt.

Unterschied zu früher: Die Geschäftsführung tut alles, um die ehrgeizigen Sparziele möglichst geräuschlos zu erreichen. Über Altersteilzeitverträge sollen bei OZ und LN in den nächsten Jahren insgesamt 170 Kollegen ausscheiden. Auch die Redaktion schrumpfen. Zwar wird beschworen, es werde weiter zwei eigenständige Titel geben. Doch was bedeutet das? Zwei Hüllen der „Lübecker Ostsee-Nachrichten“? Sollte diese Befürchtung eintreten, ginge ein gewichtiges Stück Pressevielfalt im Norden verloren.

  2003 2004 2005 2006 2007
Beschäftigte gesamt 486 450 441 437 403
davon Redakteure 132* 129* 126* 107 108

* 2003 - 2005: inklusive Mecklenburg-Vorpommerscher Verlag (Redaktion der Anzeigenblätter )

19. Oktober 2007