Neubrandenburg träumt von „bayerischen Verhältnissen“ bei Leiharbeit

Mit zweierlei Maß: Während die Augsburger Allgemeine im bayerischen Stammland die Leiharbeit beendet, wird sie bei der Beteiligung Nordkurier ausgeweitet. Die Folgen für Beschäftigte und Qualität sind gravierend.

Ab 1. Januar sollen alle Redakteure und andere Verlagsangestellte der Augsburger Allgemeinen (aktuelle Auflage: 359000) wieder im Stammhaus des Verlages angestellt werden. Für sie gelten dann endlich die Flächentarifverträge und damit deutlich bessere Konditionen als in der Anfang 2007 gegründeten konzerneigenen Personalagentur. Die Gewerkschaften ver.di und DJV sehen diesen Schritt als Erfolg einer intensiven Betriebs- und Öffentlichkeitsarbeit. „Trotz des Erfolges zeigen dieses Beispiel und ähnliche Entwicklungen in anderen Medienunternehmen, dass der gesetzliche Rahmen für Zeitarbeit dringend verbessert werden muss. Die Dauer muss begrenzt und ein echtes Equal Pay sichergestellt werden“, erklärte Frank Werneke, bei ver.di zuständig für die Medienbranche.

Er hat dabei auch den Nordkurier im Blick: Denn 700 Kilometer nördlich von Ausgburg wird der gegenteilige Kurs gefahren. Der Kurierverlag, zu einem Drittel im Besitz der Bayern, weitet die Leiharbeit schrittweise aus: In der eigens gegründeten V & D Servicegesellschaft sind gegenwärtig rund 60 der noch etwa 400 Beschäftigten beim Nordkurier (Auflage: 100000) angestellt. Darunter befinden sich 13 Volontäre der Redaktion und 23 Auszubildende in Technik und Verlag. Auch die Mitarbeiter des Bereichs Personalwesen hat man, gemeinsam mit Beschäftigten in Altersteilzeit per Betriebsübergang in die Servicefirma befördert, die das Tarifwerk einer so genannten christlichen (Schein-)Gewerkschaft für sich reklamiert, das nochmals deutlich unter den in der Leiharbeit üblichen Bedingungen liegt.

§ 613a: Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang

(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden.
(...)
(4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.

Während die aus dem ursprünglichen Verlag verschobenen Mitarbeiter noch unter dem Schutz der Veränderungssperre von § 613 a des Bürgerlichen Gesetzbuches stehen, bekommen neue Kollegen zu spüren, was die Geschäftsleitung unter „frei vereinbarten Konditionen“ versteht: Mindestens 20 Prozent unter Tarif bei einer oft auf 40 Stunden verlängerten Wochenarbeitszeit. „Mangels Alternativen unterschreiben die Kollegen praktisch alles, was ihnen vorgelegt wird“, berichtet ein Insider.

Mit fatalen Folgen: Die schlecht bezahlten Neu-Einsteiger wirken als Druckmittel auf die vorhandene Belegschaft. Man reklamiert Gleichbehandlung und offeriert auch langjährig Beschäftigten ähnlich schlechte Konditionen.

Doch es geht um mehr als finanzielle Einbußen der Betroffenen: Mit der Pseudo-Tarifbindung der V & D Servicegesellschaft hat sich der Kurierverlag endgültig aus der Nachwirkung der bisherigen Tarifverträge verabschiedet. Die regeln aber nicht nur Arbeitszeit und Einkommen, sondern auch die Ausbildung – gerade des journalistischen Nachwuchses. Verlage und Gewerkschaften hatten sich auf die Ausgestaltung des Volontariats verständigt: Monatliche Ausbildungstage, ein Mindestmaß an überbetrieblicher Qualifizierung und das Bekenntnis, Volontäre eben nicht als billigen Redakteursersatz zu benutzen.

 „In der Praxis stellen wir immer wieder fest, dass Volontärinnen und Volontären – gerade am Wochenende – oft allein und eigenverantwortlich eine ganze Lokalausgabe bauen“, beklagt Kai Voigtländer vom Deutschen Journalisten-Verband Mecklenburg-Vorpommern. „Sie schreiben und redigieren Texte anderer selber, gestalten die Seiten organisieren Fotos... Mit einem Wort: die ganze Palette der Redakteursarbeit. Auszubildende als presserechtlich Verantwortliche.“

Während anderswo freilich die Betriebsräte auf Einhaltung des Tarifvertrages pochen und damit für journalistische Qualität aktiv werden können, fehlt der Interessenvertretung im Nordkurier künftig die Handhabe gegen solche Auswüchse.

7. August 2008