Nordkurier-Chef: Zusteller selbst schuld an Entlassungen

Alles nur eine Kampagne? Während die Geschäftsführung des Nordkuriers Medien-Anfagen zur Entlassung von 60 Brief- und Paketzustellern weiter unbeantwortet lässt, lockten empörte Leser, die auf dem Facebook-Portal der Zeitung mit Abo-Kündigungen drohten, Geschäftsführer Schumacher aus der Reserve. Er behauptet nun, die Zusteller hätten schlecht gearbeitet und sich ihre Not selbst eingebrockt. Diese Reaktion sorgt inzwischen auch bei der Landespolitik für Kompfschütteln.

„Skandal beim Nordkurier.“ „Unfassbar.“ „Schämt Euch!“ Kaum hatte der NDR die Entlassung von 60 Brief- und Paketzustellern kurz vor Einleitung einer Betriebsratswahl bei einer 100-prozentigen Tochter des Neubrandenburger Medienunternehmens publik gemacht, machten wütende Leser ihrem Unmut so deutlich Luft, dass Geschäftsführer Lutz Schumacher in Betracht drohender Abo-Kündigungen um eine Reaktion offenbar nicht mehr umhinkam.

In seiner Antwort dreht Schumacher den Spieß einfach um und behauptet, die betroffenen Zusteller wären an ihrer Lage selbst schuld. „Von den Logistik-Kollegen wurden wir informiert, dass in dem kleinen von der Umstrukturierung betroffenen Bereich seit langem schwere Qualitäts- und Organisationsmängel herrschen, die bei vielen Kunden zu großer Unzufriedenheit führten.“ Darauf habe man nun reagiert. „Wir finden die Sache auch sehr unschön, wundern uns aber schon, dass SPD, Gewerkschaften und NDR über dieses Thema herfallen, sich für die zehntausenden prekären Aushilfsjobs im Land aber offenbar überhaupt nicht interessieren.“

Hinter all dem vermutet der Chef der Neubrandenburger Mediengruppe eine Kampagne. Laut NDR schrieb Schumacher in einer internen Mitarbeiter-Mail, die „erkennbar geschürte Erregung“ habe vielleicht auch damit zu tun, dass die Zeitung „für viele mächtige Netzwerke“ sehr unbequem sei. Die Zeitung könne als einzige im Land mit Recht behaupten, „wirklich unabhängig von großen Konzernen und staatlichen Strukturen zu sein“.

Dass sich eine solche Verschwörungstheorie selbst ad absurdum führt, steht auf einem anderen Blatt. Auch hinter dem Nordkurier verbergen sich große Medienunternehmen: Die Kieler Nachrichten, an denen mit Madsack die Nummer 5 der deutschen Zeitungskonzerne 49 Prozent hält, besitzen ebenso ein Drittel der Nordkurier-Anteile wie Deutschlands Nummer 7, die Verlagsgruppe Augsburger Allgemeine. Dritter Gesellschafter ist die Schwäbische Zeitung, einer der auflagenstärksten Titel Baden-Württembergs. Selbst die von Schumacher geschmähte SPD sitzt als größter Einzelgesellschafter von Madsack in Neubrandenburg indirekt im Boot.

Im Wirtschaftsausschuss des Landtages, der sich auf Antrag der Linken mit dem Thema beschäftigte, sorgte Schumachers Frontal-Angriff gegen die gekündigten Zusteller für Kopfschütteln. Der CDU-Abgeordnete Marc Reinhardt, der selbst im betroffenen Zustell-Gebiet Mecklenburgische Schweiz wohnt, hält die Begründung laut NDR für vorgeschoben. Er habe die Zeitung und vom Nordkurier zugestellte Post bisher zuverlässig erhalten. Noch deutlicher wurde SPD-Fraktionschef Jochen Schulte, der hier „Arbeitnehmerrechte mit den Füßen getreten“ sieht.

In Sachen Öffentlichkeit ist der NDR in Mecklenburg-Vorpommern jedoch fast allein auf weiter Flur. Die zur Madsack-Gruppe gehörende Ostsee-Zeitung schweigt zu den 60 Kündigungen bisher ebenso wie ihr Pendant in Schwerin. Auch über den Ticker der deutschen Presseagentur, die ansonsten mit ihrem Landesbüro das Geschehen an der Küste im Blick hat, lief erwartungsgemäß keine Meldung – Negativ-Meldungen über die eigenen Kunden sind dort tabu.

Letzlich dürften sich die Verlage in Sachen Glaubwürdigkeit damit ins eigene Fleisch schneiden. Auf dem Facebook-Portal des Nordkuriers brachte es ein Leser trocken auf den Punkt: „Alle 60 Mitarbeiter werden nicht gleich schlecht gearbeitet haben, um eine Kollektiventlassung vorzunehmen. Sorry. Ist wohl dumm gelaufen.“
12. Januar 2018