Abgewickelt: Der Nordkurier räumt aus

Zwei Jahre nach Beginn der Umstrukturierung ist aus dem Kurierverlag Neubrandenburg ein tarifloses Firmengeflecht geworden, in dem Arbeitnehmer wenig Mitsprache haben.

Am Ende braucht man sogar das eigene Archiv nicht mehr: Den publizistischen Offenbarungseid, sich selbst des Gedächtnisses zu berauben, verwandelte der Nordkurier freilich in eine Erfolgsmeldung. „Zeitungsarchiv ins Rathaus umgezogen“, titelte das Blatt. Dort seien die Jahrgänge 1992 bis Ende 2009 ab sofort für die Öffentlichkeit einsehbar – nach telefonischer Anmeldung, versteht sich.

Umziehen wird auch der Rest-Kurierverlag: Aus einer Insolvenz kam man günstig an das neue Domizil in der Neubrandenburger Innenstadt, das Medihaus am Friedrich-Engels-Ring. Genug Platz für die verbliebenen Mitarbeiter des Kurierverlages und einiger in Neubrandenburg selbst angesiedelter Tochterfirmen.

Für den Datzeberg, wo der Verlag erst 1994 einen Neubau bezogen hatte, wurde ein neuer Nutzer gefunden. Die Büroflächen werden an die zur Bertelsmann AG gehörende Arvato Service GmbH vermietet. 850 Mitarbeiter werden dort künftig ein Callcenter betreiben. Lediglich Druckerei und Postdienst bleiben am bisherigen Standort

Neuer Job für Ex-Chefredakteur

Vom Datzeberg an den Bodensee: Der im Januar 2009 abgelöste Nordkurier-Chefredakteur André Uzulis hat die seinerzeit als Begründung angeführte Phase der „beruflichen Neuorientierung“ vorerst abgeschlossen. Der 45-Jährige Major der Reserve (Autor des Werks „Die Bundeswehr Eine politische Geschichte von 1955 bis heute.“) übernimmt das journalistische Kommando beim Südkurier in Konstanz am Bodensee.
Uzulis war seit 2002 Chefredakteur beim Nordkurier gewesen.

Binnen weniger Jahre wurde der Verlag mit einem Jahresumsatz von 50 Millionen Euro komplett umgekrempelt. Beginnend mit dem Verlust der Tarifbindung 2007 setzte der unter anderem von Münsterschen Zeitung als Brachial-Sanierer bekannte Geschäftsführer Lutz Schumacher (Branchen-Spott „Zumacher“) seine Vision eines „zukunftsfähigen Verlages“ um. Massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Ausgliederungen von immer neuen Abteilungen in formal eigenständige Firmen, Personalabbau mit und ohne Kündigungen – am Ende war mancher in der Belegschaft so zermürbt, dass er - statt auf den blauen Brief zu warten - lieber selbst das Handtuch warf.

Dem jüngsten Outsourcing der Kurierverlages, der vor drei Jahren noch mehr als 400 Beschäftigte hatte, fiel nun auch der bisherige Betriebsratsvorsitzende Fritz Krüger zum Opfer. Der langjährige Redakteur des Blattes war nach Abgabe der Mantelredaktion an die gemeinsam mit der SVZ gebildete gemeinsame Tochterfirma mv:m einer der letzten verbliebenen Journalisten im Mutterhaus. Dort wird kaum noch Journalismus betrieben, sondern das aus mehr als einem Dutzend Betrieben bestehende Firmengeflecht verwaltet, in der - inklusive Zusteller - fast 2500 Menschen arbeiten.

Ob in der Holding, die nach dem vorläufigen Ende der Umstrukturierung noch knapp 50 Mitarbeiter beschäftigt, ein neuer Betriebsrat gewählt wird, ist gegenwärtig offen. Ein erster Anlauf scheiterte an einem kurzfristig eingelegten Widerspruch.

In den meisten Unternehmen der Firmengruppe gibt es zwar Interessenvertretungen. Doch ohne die Basis gewerkschaftlich erstrittener Tarifverträge sind ihre Aussichten, etwas für die Arbeitnehmer zu erreichten, freilich eng begrenzt. Gerade bei Löhnen und Gehältern hat die Leitung faktisch freie Hand.

Neue Chancen erkennt hingegen Geschäftsführer Schumacher: Er stockte den Anteil des Kurierverlages am Radiosender Antenne MV auf 35 Prozent auf.

14. Juli 2010