Mindestlohn für freie Journalisten:
Verleger in MV auf Tauchstation

Hauptsache billig: Die Tageszeitungen an der Küste drücken sich weiter um eine angemessene Honorierung ihrer freien Mitarbeiter. Und das, obwohl es seit 1. Februar 2010 mit den Vergütungsregeln einen im Urheberrecht verankerten Mindestlohn gibt.

HINTERGRUND

Vergütungsregeln

Das Urheberrechtsgesetz bildet die Basis der seit dem 1. Februar 2010 bundesweit geltenden Vergütungsregeln. Im Jahre 2002 hatte der Bundestag eine Novellierung dieses Gesetzes beschlossen, nachdem die Verleger-Lobby eine weitergehende Regelung zu Gunsten der Autoren verhindert hatte. In einer aufwändigen Kampagne, für die viele Zeitungen ganze Anzeigenseiten frei räumten, war zuvor die angebliche Bedrohung von Kreativität, Pressefreiheit und freiem Unternehmertum beschworen worden. So stand am Ende ein Kompromiss, zu dem auch eine weiche Formel für die „angemessene Vergütung“ festgeschrieben ist. So steht in § 36 des Gesetzes: „Zur Bestimmung der Angemessenenheit von Vergütungen nach § 32 stellen Vereinigungen Urhebern mit Vereinigungen von Werknutzern oder einzelnen Werknutzern gemeinsame Vergütungsregeln auf.“

Das zwang Verleger und Gewerkschaften an einen Tisch, wurde jedoch zur quälend langen Prozedur, da im Gesetz keine Frist gesetzt ist. Es dauerte sechs Jahre, bis beide Seiten zu einem Kompromiss fanden. Und der gilt nur für Texte, während für Fotos immer noch keine Einigung erzielt ist.

In den Regeln festgelegten Honorare unterscheiden sich nach Auflagenhöhe und journalistischer Darstellungsweise. Für Nachrichten und Berichte sind in der untersten Stufe (Auflage bis 10000 Exemplare) beim Erstdruck 47 bis 51 Cent pro Zeile fällig, beim Zweitdruck 36 bis 42 Cent. Bei Auflagen über 200 000 kostet ein Erstdruck 94 bis 103 Cent pro Zeile. Reportagen, Gerichtsberichten oder Glossen gelten ebenso wie für Kommentare, Interviews oder Kunstkritiken höhere Sätze.

Der in Westdeutschland geltende Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Freie sieht höhere Sätze als die Vergütungsregeln vor. Für den Erstdruck von Nachrichten bei Auflagen bis 10000 gilt zum Beispiel ein fester Satz von 54 Cent, beim Zweitdruck sind es 44 Cent.

Ist Mecklenburg-Vorpommern eine Art Sonderwirtschaftszone, in der bundesweites Recht nicht gilt? Der Umgang der Verlage mit den seit 1. Februar 2010 in ganz Deutschland geltenden Vergütungsregeln legt diesen Schluss nahe. Von den Mindesthonoraren, auf die sich der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) nach sechs Jahre (!) andauernden Verhandlungen mit den Gewerkschaften DJV und ver.di geeinigt hatte, können die meisten hauptberuflich freien Journalisten an der Küste weiter nur träumen.

Die Chefetagen der drei großen Blätter Nordkurier, Ostsee-Zeitung und Schweriner Volkszeitung (SVZ) bauen offensichtlich auf kaltes Aussitzen, tun so, als ob es die Vergütungsregeln nicht gäbe. Wer trotzdem das im Urheberrecht verankerte Mindesthonorar einfordert, blitzt im besten Fall ab.

„Unbequeme Freie, die sich das trauen, werde dann irgendwann ihre Texte und Fotos nicht mehr los“, schreibt ein Betroffener in einem Brief an die Zeitschrift des DJV-Landesverbandes „Kiek an!“ Es werde sich immer jemand finden, der für weniger arbeitet. „Dafür gibt es zu viel Freischwimmer im Haifischbecken.“ Bitterer Kommentar eines anderen Berufskollegen: „Die SVZ bezahlt die Freien noch schlechter als der Nordkurier: Im Lokalteil pro Zeile 10 Cent und pro Bild 7,50 Euro.“ Zum Vergleich: In den Vergütungsregeln wären 36 Cent das absolute Minimum (siehe Kasten).

Nach zahlreichen Hinweisen, dass an der Küste die nun geltenden Mindesthonorare weiter nicht gezahlt werden, fühlte der Deutsche Journalistenverband den Geschäftsführern aller Tageszeitungsverlage mit einem Brief auf den Zahn. Doch auf die Fragen – „Welche Begründung haben Sie dafür? Und wie werden Sie zukünftig verfahren?“ - kam nur eine einzige Antwort, und die lässt Kenner der Materie den Kopf schütteln. Tilo Schelsky, Geschäftsführer des zum Nordkurier gehörenden Peene-Müritz Regionalverlages, verkündete, dass die Vergütungsregeln nur für die westdeutschen Länder ausschließlich Hessens vereinbarbart worden wären. Sie seien „deshalb nicht auf die neuen Länder übertragbar“.

Bei gnädiger Betrachtung ließe sich dem Manager zugute halten, dass er da etwas durcheinandergebracht hat. Zutreffend wäre seine Behauptung für den in der Tat nur in Westdeutschland mit Ausnahme Hessens geltenden Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche freie Mitarbeiter, in dem allerdings deutlich höhere Sätze als in den Vergütungsregeln festgeschrieben sind. Letztere fangen hingegen wie ein Mindestlohn gerade die Bereiche ab, in denen besagter Tarifvertrag nicht gilt.

Immerhin: Schelsky hatte Mut. Seine übrigen Kollegen der Nordkuriergruppe blieben dem DJV ebenso eine Antwort schuldig wie die Chefs der Schweriner Volkszeitung/Norddeutschen Neuesten Nachrichten und der Ostsee-Zeitung, wo die Leitung inzwischen aber gegenüber dem Betriebsrat die Katze aus dem Sack ließ. Die Arbeitnehmervertretung in Rostock hatte das Thema bei Verhandlungen über die Einführung einer Honorarsoftware zur Sprache gebracht, blitzte damit jedoch ab, und machte dies per Aushang öffentlich: „Überraschend teilte die Leitung während der Gespräche mit, dass ihrer Meinung nach die Vergütungsregeln für hauptberuflich arbeitende freie Journalisten bei der Ostsee-Zeitung - anders als etwa in Schleswig-Holstein - nicht gelten würden.“ Die Maxime „Zwei Verlage, eine Zukunft“, die ansonsten bei der immer engeren Anbindung des Blatts an die Unternehmensmutter Lübecker Nachrichten hochgehalten wird, gilt für die Freien offensichtlich nicht.

Die Gewerkschaften wollen sich damit nicht abspeisen lassen. Unter dem Titel „Fair.Pay“ hat die Deutsche Journalisten Union in ver.di bundesweit die Initiative zur Durchsetzung der vereinbarten Regeln ergriffen. Und der DJV Mecklenburg lädt am 20. August zu einem Freien-Treff im Rostocker IHK-Gebäude zum Thema Vergütungsregeln ein. Motto: „Frei.Fair.Handeln!“

1. August 2010