Zentralisierung mit Folgen

Innovation oder nächster Schritt zum Abbau? Der Nordkurier produziert künftig mehrere Lokalausgaben zentral. Bei der Ostsee-Zeitung hat sich dieses Modell nicht bewährt.

Die Einweihung des regionalen „Nachrichtentisches“ (Newsdesk) in Waren, an dem künftig die Müritz-Zeitung, Mecklenburger Schweiz und Demminer Zeitung produziert werden, erfolgte mit großem Aufwand. Auch Landeswirtschaftsminister Jürgen Seidel war unter den Geladenen und fand warme Worte für das Projekt. Der CDU-Mann erblickte laut Pressemitteilung in dem  Newsdesk einen Erfolg des Regionalisierungskonzeptes: „Damit bekennt sich der Nordkurier zu seinen lokalen Standorten.“

Tatsächlich? Zweifel sind erlaubt. Zwar bleiben zunächst die Büros in Malchin, Teterow und Demmin bestehen, doch eine Garantie gibt es nicht. Vielmehr liegt in dem Konzept selbst ein Risiko: Es ist offen, wer Nachrichten und Berichte an den zentralen Produktionstisch liefert, an dem auch gleich noch das Anzeigenblatt gefertigt wird. Freie Mitarbeiter, externe Journalistenbüros können dies eben so sein, wie von zu Hause per Laptop arbeitende Redakteure oder „Leserreporter“…

Effektiver durch Spezialisierung?

Das Prinzip des Newsdesk ist die Trennung zwischen recherchierenden Redakteuren („Reportern“) und den Blattmachern. Diese Arbeitsweise soll den Reportern mehr Freiraum für die Recherche ihrer Beiträge geben, weil sie von Routinetätigkeiten wie dem Bearbeiten eingehender Pressemitteilungen entlastet werden. Bei den produzierenden Journalisten hofft man durch die Spezialisierung auf einen effektiveren Umgang mit den komplexen technischen Systemen der Zeitungsproduktion.

Wenn mehrere oder alle Seiten von den Blattmachern an einer zentralen Stelle gefertigt werden, spricht man vom Newsdesk (Nachrichtentisch) bzw. Newsroom (Nachrichtenraum). Der Gedanke ist, dass durch die ständige Kommunikation der Beteiligten Themen umfassender bearbeitet werden und gleichzeitig verschiedene „Kanäle“ (Zeitung, Online) bedient werden können.

Kritiker des aus dem Angelsächsischen stammenden Konzepts verweisen unter anderem auf die erhöhte Belastung durch Geräusche in den Großraumbüros und die Arbeitsverdichtung.

Im Moment stehen bei den Betroffenen die akuten Sorgen im Vordergrund. Wer aus Malchin, Teterow oder Demmin künftig am Tisch in Waren Dienst schiebt, der hat einen langen Weg zur Arbeit. Und die Zurückbleibenden fürchten den Kommunikationsaufwand, wenn künftig jede Änderung an eine Seite mit den Produktionspool an der Müritz abgestimmt werden muss.

Dass diese Sorgen berechtigt sind, zeigt der Blick gen Norden. 2003 trat die Ostsee-Zeitung mit einem ähnlichen Konzept auf den Plan: Jeweils zwei Ausgaben sollten gemeinsam produziert werden. Doch nach versuchsweiser Umstellung von sechs der zehn Lokalredaktionen wurde die Aktion abgebrochen. Zwischenzeitlich sind die gemeinsamen Produktionstische wieder verschwunden und die an sie abgeordneten Redakteure in ihrer Stammhäuser zurückgekehrt; nur einige Sekretariate sind noch zentralisiert.

Der Grund: Statt der erhofften effektiveren Produktion stieg der Aufwand für Absprachen zwischen Blattmachern und entfernten Reportern. Die dank einer vom Betriebsrat erstrittenen Vereinbarung gezahlten Fahrgelder verdeutlichten den Widersinn, von dem man unter manchen Mühen schrittweise wieder Abschied nahm.

Steht der Nordkurier, der künftig in allen neu gegründeten Regionalgesellschaften nach dem Modell arbeiten will, vor den gleichen Erfahrungen? Worum geht es bei dem technisch aufwändig in Szene gesetzten Projekt tatsächlich? Dass der schicke Newsdesk womöglich nur ein Mittel zu ganz anderen Zwecken ist, diesen Verdacht bestärkte die Leitung des Hauses selbst: Sie nahm die Installation zum Anlass, um Journalisten neue Arbeitsverträge anzubieten. Die frisch geschlagenen „Reporter“ sollen 40 Stunden arbeiten und beziehen ein „frei vereinbartes Gehalt“ – deutlich unter Tarifniveau.

16. September 2008